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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Die Fürsprecher bewaffneter und organisierter Bürgerwehren verbargen sich nicht mehr im Schatten. Sie traten offen in Erscheinung. Mit Namen und Fotos. Auf einem Treffen in Ystad, um eine Organisation zu bilden.
    Wallander warf die Zeitung auf den Tisch. Wir werden an zwei Fronten kämpfen müssen, dachte er. Dies hier ist entschieden gravierender als alle vielbeschriebenen Neonazi-Organisationen, deren Gefährlichkeit häufig übertrieben wird. Von den Motorradgangs ganz zu schweigen.
    Er war an der Reihe. Bald saß er mit einem eigentümlichen Apparat vor den Augen da und starrte auf verschwommene |278| Buchstaben. Er fürchtete plötzlich, er könne langsam blind werden. Aber hinterher, als der Optiker eine Brille auf seine Nase gesetzt hatte und eine Zeitung vor ihn hinlegte, eine Zeitung, in der auch ein Artikel über die Bürgerwehren und die geplante Organisation stand, konnte er den Text lesen, ohne die Augen anzustrengen.
    »Sie brauchen eine Lesebrille«, sagte der Optiker freundlich. »Nichts Ungewöhnliches in Ihrem Alter. Plus 1,5 reicht fürs erste. So nach und nach werden Sie die Stärke alle paar Jahre erhöhen müssen.«
    Anschließend betrachtete Wallander Brillengestelle. Er wunderte sich über die Preise. Als er hörte, daß es auch billige Kunststoffbrillen gab, entschloß er sich sofort für diese Alternative.
    »Wie viele?« fragte der Optiker. »Zwei, damit Sie eine in Reserve haben?«
    Wallander dachte an all die Kugelschreiber, die er ständig verlor. Er konnte sich nicht vorstellen, die Brille an einer Schnur um den Hals zu tragen.
    »Fünf«, sagte er.
    Es war erst vier Uhr, als er beim Optiker fertig war. Ohne es vorher geplant zu haben, ging er zum Maklerbüro, vor dessen Fenster er vor einigen Tagen gestanden und die Fotos der zum Verkauf angebotenen Häuser angesehen hatte. Diesmal ging er hinein, setzte sich an einen Tisch und studierte die Mappen mit den einzelnen Angeboten. Zwei der Häuser interessierten ihn. Er bekam Kopien und versprach anzurufen, wenn er eins der Häuser besichtigen wollte. Da er immer noch Zeit hatte, beschloß er, Antwort auf eine Frage zu suchen, die er seit Holger Erikssons Tod im Kopf hatte. Er ging zur Buchhandlung am Stortorget. Der Buchhändler, den er von früher her kannte, war im Lager im Keller. Wallander ging eine halbe Treppe hinunter und fand seinen Bekannten zwischen einer Anzahl von Kartons mit Unterrichtsmaterial, das gerade ausgepackt wurde. Sie begrüßten sich.
    »Du schuldest mir noch neunzehn Kronen«, sagte der Buchhändler und lächelte.
    »Wofür denn?«
    »Im Sommer hat die Polizei mich eines Morgens um sechs Uhr |279| geweckt, weil sie eine Karte von der Dominikanischen Republik brauchte. Der Polizist, der kam und sie abholte, hat hundert Kronen bezahlt, aber sie kostete hundertneunzehn.«
    Wallander steckte die Hand in die Jacke, um seine Brieftasche herauszuholen. Der Buchhändler hob abwehrend die Hand. »Laß nur, das spendier ich«, sagte er. »Das war mehr als Scherz gemeint.«
    »Holger Erikssons Gedichte«, sagte Wallander. »Die er selbst hat drucken lassen. Wer hat die gelesen?«
    »Natürlich war er ein Dilettant«, sagte der Buchhändler. »Aber er schrieb nicht schlecht. Das Problem war, daß er nur über Vögel schrieb. Oder besser gesagt: Vögel waren das einzige, worüber er gut schreiben konnte. Wenn er sich an anderen Stoffen versuchte, ging es immer schief.«
    »Wer kaufte seine Gedichte?«
    »Er hat nicht viele durch mich und den Buchhandel verkauft. Ein großer Teil dieser Heimatschreibereien bringt natürlich keinen Gewinn. Aber sie sind wichtig auf eine andere Weise.«
    »Wer kaufte sie?«
    »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht der eine oder andere Tourist hier in Schonen? Hobby-Ornithologen kannten seine Bücher. Vielleicht Sammler von Heimatliteratur.«
    »Vögel«, sagte Wallander. »Das bedeutet, daß er nie etwas schrieb, worüber Menschen sich aufregen konnten.«
    »Natürlich nicht«, sagte der Buchhändler erstaunt. »Hat jemand das behauptet?«
    »Ich frage mich nur«, sagte Wallander.
    Dann verließ er den Buchladen und ging zum Präsidium hinauf.
     
    Als er im Sitzungszimmer seinen gewohnten Platz eingenommen hatte, setzte er als erstes seine neue Brille auf die Nase. Im Raum machte sich eine gewisse Heiterkeit breit.
    Aber niemand sagte etwas.
    »Wer fehlt noch?« fragte er.
    »Svedberg«, sagte Ann-Britt Höglund. »Ich weiß nicht, wo er ist.«
    |280| Sie hatte den Satz kaum zu Ende

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