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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Tisch, ging zurück in sein Zimmer, schloß die Tür und verbrachte die nächste halbe Stunde damit, alle Fragen aufzuschreiben, auf die er so schnell wie möglich eine Antwort haben wollte. Dabei entschied er sich, den Inhalt seines nächtlichen Gesprächs mit Ann-Britt Höglund schon am gleichen Morgen aufzugreifen, wenn die Gruppe zusammenkam.
    Um Viertel vor acht bollerte es an der Tür. Es war Hamrén vom Mordkommissariat in Stockholm. Sie begrüßten sich. Wallander mochte ihn. Sie hatten im Sommer hervorragend zusammengearbeitet.
    »Schon hier?« sagte er. »Ich dachte, du kämst erst im Lauf des Tages.«
    »Ich bin gestern mit dem Wagen heruntergekommen. Ich konnte mich nicht bremsen.«
    »Wie ist es in Stockholm?«
    »Wie hier. Nur größer.«
    »Ich weiß nicht, wo du sitzen sollst«, sagte Wallander.
    »Bei Hansson. Das ist schon geklärt.«
    »Wir treffen uns in ungefähr einer halben Stunde.«
    »Ich muß mich in eine Menge einlesen.«
    Hamrén verließ das Zimmer. Wallander griff zerstreut nach dem Telefonhörer, um seinen Vater anzurufen. Zuckte zurück. Die Trauer war stark und kam plötzlich, wie aus dem Nichts. Es gab keinen Vater mehr, den er anrufen konnte. Nicht heute, nicht morgen. Nie mehr.
    |337| Er saß reglos in seinem Stuhl, hatte Angst, daß es anfangen könnte, irgendwo weh zu tun.
    Dann beugte er sich vor und wählte die Nummer. Gertrud meldete sich fast unmittelbar. Sie wirkte erschöpft und begann plötzlich zu weinen, als er fragte, wie es ihr gehe. Er spürte selbst einen Kloß im Hals.
    »Ich nehme jeden Tag für sich«, sagte sie, nachdem sie sich beruhigt hatte.
    »Ich versuche, heute nachmittag vorbeizukommen«, sagte Wallander. »Nicht lange. Aber ich versuche es auf jeden Fall.«
    »Ich habe über so vieles nachgedacht«, sagte sie. »Über dich und deinen Vater. Wovon ich so wenig weiß.«
    »Das geht mir auch so. Aber wir können ja versuchen, ob wir gegenseitig unsere Lücken ausfüllen können.«
    Er beendete das Gespräch und wußte, daß er es aller Voraussicht nach nicht schaffen würde, im Lauf des Tages nach Löderup zu fahren. Warum hatte er gesagt, er wolle es versuchen? Nun würde sie dasitzen und warten.
    Ich lebe ein Leben, in dem ich immer Menschen enttäusche, dachte er.
    Wütend zerbrach er den Bleistift, den er in der Hand hatte, und warf die Stücke in den Papierkorb. Eins landete auf dem Fußboden. Er trat es mit dem Fuß weg. Einen Moment lang hatte er Lust zu fliehen. Er fragte sich, wann er zuletzt mit Baiba gesprochen hatte. Auch sie hatte nicht angerufen. War ihre Beziehung im Begriff einzuschlafen? Wann würde er Zeit haben, sich ein Haus anzusehen? Einen Hund zu kaufen? Es gab Augenblicke, in denen er seinen Beruf verabscheute. Gerade jetzt war so einer.
    Er stellte sich ans Fenster. Heftiger Wind und Herbstwolken. Zugvögel auf dem Weg in wärmere Länder. Er dachte an Per Åkesson, der sich schließlich für einen Aufbruch entschieden hatte. Der zu der Ansicht gelangt war, daß das Leben immer etwas mehr sein konnte.
    Baiba hatte im Spätsommer, als sie am Strand von Skagen wanderten, gesagt, es käme ihr vor, als habe das gesamte westliche Europa einen gemeinsamen Traum von einem gigantischen |338| Segelboot, das den ganzen Kontinent in die Karibik bringen würde. Sie hatte gesagt, der Zusammenbruch der ehemaligen Ostblockstaaten habe ihr die Augen geöffnet. In dem armen Lettland habe es Inseln von Reichtum gegeben, die einfache Freude. Sie hatte entdeckt, daß die Armut auch in den reichen Ländern, die sie jetzt besuchen konnte, sehr groß war. Es gab ein Meer von Unzufriedenheit und Leere. Und da kam das Segelboot ins Spiel.
    Wallander versuchte, an sich selbst als einen zurückgelassenen oder vielleicht unentschlossenen Zugvogel zu denken. Aber der Gedanke kam ihm so idiotisch und sinnlos vor, daß er ihn verwarf.
    Er machte sich eine Notiz, daß er versuchen mußte, noch am gleichen Abend Baiba anzurufen. Dann sah er, daß es Viertel nach acht geworden war. Er ging ins Sitzungszimmer. Außer dem hinzugekommenen Hamrén waren noch zwei Polizisten aus Malmö anwesend. Wallander hatte sie noch nie gesehen. Er begrüßte sie. Der eine hieß Augustsson und der andere Hartman. Lisa Holgersson kam, und sie setzten sich. Sie hieß die Neuankömmlinge willkommen. Mehr Zeit war nicht. Dann sah sie Wallander an und nickte.
    Er fing an, wie er es sich vorher überlegt hatte. Mit dem Gespräch, das er nach dem Experiment mit dem Packen des Koffers mit

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