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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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war nur teilweise oberhalb der Wasseroberfläche zu sehen. Ein Fuß ragte heraus. Der Schuh war braun. Ein Schnürschuh. Durch ein Loch im Hosenbein sah man die weiße Haut.
    Wallander winkte Nyberg zu sich. Hansson sprach mit dem Mann, der angerufen hatte, Martinsson wartete etwas oberhalb, Ann-Britt Höglund stand abseits. Wallander kam es vor wie eine Fotografie. Die Wirklichkeit eingefroren, geschlossen. Nichts würde mehr geschehen.
    Diese Wahrnehmung brach ab, als Nyberg den Steg betrat. Die Wirklichkeit kehrte zurück. Wallander ging in die Hocke. Nyberg tat das gleiche.
    »Jutesack«, sagte Nyberg. »Die sind meistens kräftig. Trotzdem hat der hier ein Loch gehabt. Er muß alt gewesen sein.«
    Wallander wünschte, Nyberg hätte recht. Aber er wußte schon, daß es nicht so war.
    Der Sack hatte kein Loch gehabt. Man konnte sehen, daß der Mann das Loch in den Sack getreten hatte. Die Fibern des Gewebes waren gedehnt worden und dann gerissen.
    Wallander wußte, was das bedeutete.
    Der Mann hatte gelebt, als er in den Sack gesteckt und in den See geworfen worden war.
    |344| Nyberg sah ihn forschend an. Sagte aber nichts. Er wartete.
    Wallander holte mehrmals tief Luft. Dann sagte er, was er dachte und was seiner Überzeugung nach die Wahrheit war. »Er hat ein Loch in den Sack getreten. Das bedeutet, daß er gelebt hat, als er in den See geworfen wurde.«
    »Hinrichtung?« fragte Nyberg. »Bandenkrieg?«
    »Laß es uns hoffen«, sagte Wallander. »Aber ich glaube es nicht.«
    »Derselbe Täter?«
    Wallander nickte. »Sieht so aus.«
    Wallander erhob sich mühsam. Es zog in den Knien. Er ging zurück zum Strand. Nyberg blieb auf dem Steg. Die Polizeitechniker waren gerade mit ihrem Wagen angekommen. Wallander ging zu Ann-Britt Höglund hinauf. Sie stand jetzt mit Lisa Holgersson zusammen. Die anderen kamen nach. Schließlich waren sie alle versammelt. Der Mann, der den Sack entdeckt hatte, saß auf einem Stein und stützte den Kopf in die Hände.
    »Es kann derselbe Täter sein«, sagte Wallander. »Falls ja, hat er diesmal einen Mann in einem Sack ertränkt.«
    Der Abscheu ging wie ein Ruck durch die Gruppe.
    »Wir müssen diesen Wahnsinnigen stoppen«, sagte Lisa Holgersson. »Was ist eigentlich los in diesem Land?«
    »Eine Pfahlgrube«, sagte Wallander. »Ein Mann wird an einen Baum gebunden und erwürgt. Und jetzt einer, der ertränkt worden ist.«
    »Glaubst du immer noch, daß eine Frau so etwas tun könnte?« fragte Hansson. Sein Tonfall war spürbar aggressiv.
    Wallander stellte sich schweigend die gleiche Frage. Was glaubte er eigentlich? Im Laufe einiger weniger Sekunden zogen alle Ereignisse in seinem Kopf vorüber. »Nein«, sagte er dann. »Ich glaube es nicht. Weil ich es nicht glauben will. Aber trotzdem kann eine Frau es getan haben. Oder zumindest beteiligt gewesen sein.«
    Er sah Hansson an. »Die Frage ist falsch gestellt«, sagte er. »Es geht nicht darum, was ich glaube. Es geht darum, was heutzutage in diesem Land geschieht.«
    |345| Er kehrte ans Seeufer zurück. Ein einsamer Schwan näherte sich dem Steg. Lautlos glitt er über die dunkle Wasserfläche.
    Wallander betrachtete ihn lange.
    Dann zog er den Reißverschluß seiner Jacke hoch und kehrte zurück zu Nyberg, der bereits dort draußen auf dem Steg an die Arbeit gegangen war.

|346| 25
    Nyberg zerschnitt vorsichtig den Sack. Wallander trat auf die Brücke, um das Gesicht des toten Mannes zu sehen, neben ihm ging ein Arzt, der gerade angekommen war.
    Er kannte den Toten nicht. Er hatte ihn noch nie gesehen. Was er natürlich auch nicht erwartet hatte.
    Wallander glaubte, daß der Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt war.
    Er betrachtete die Leiche, die vor noch nicht einmal einer Minute aus dem Sack gezogen worden war. Er konnte einfach nicht mehr. Das Schwindelgefühl in seinem Kopf wollte nicht weichen.
    Nyberg war die Taschen des Mannes durchgegangen.
    »Er hat einen teuren Anzug«, sagte er. »Die Schuhe sind auch nicht billig.«
    Sie fanden nichts in den Taschen. Jemand hatte sich also die Mühe gemacht, die Identifizierung zu erschweren. Dagegen mußte der Täter davon ausgegangen sein, daß die Leiche im Krageholmssjön bald gefunden werden würde. Es war also nicht die Absicht gewesen, sie zu verbergen.
    Die Leiche lag jetzt für sich. Der Sack auf einer Plastikfolie. Nyberg winkte Wallander zu sich auf die Seite. »Das Ganze ist sehr genau ausgerechnet«, sagte er. »Man könnte glauben, der Mörder hätte eine

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