Wallander 06 - Die fünfte Frau
als schlecht bezahlte Unerträglichkeit. Er wurde dafür bezahlt, daß er durchhielt. Das Absperrungsband aus Plastik ringelte sich wie eine Schlange durch sein Leben.
|349| Er trat zu Nyberg, der den Rücken streckte.
»Wir haben eine Zigarettenkippe gefunden«, sagte Nyberg. »Das ist alles. Auf jeden Fall hier auf der Brücke. Aber wir haben schon eine oberflächliche Untersuchung des Sands vornehmen können. Nach Schleifspuren. Es sind keine da. Der, der den Sack getragen hat, muß stark gewesen sein. Wenn er den Mann nicht hierhergeführt und ihn dann in den Sack gestopft hat.«
Wallander schüttelte den Kopf. »Laß uns davon ausgehen, daß der Sack getragen worden ist«, sagte er. »Getragen samt Inhalt.«
»Hältst du es für sinnvoll, daß wir im Wasser suchen?«
Wallander zögerte. »Ich glaube nicht«, sagte er dann. »Der Mann war bewußtlos, als er hierhergekommen ist. Es muß mit einem Auto gewesen sein. Dann ist der Sack ins Wasser geworfen worden, und der Wagen ist weggefahren.«
»Dann lassen wir das mit dem Wasser«, sagte Nyberg.
»Erzähl mal, was du siehst«, sagte Wallander.
Nyberg verzog das Gesicht. »Natürlich kann es derselbe Täter sein«, sagte er dann. »Die Gewalt, die Brutalität, das ist ähnlich. Auch wenn er variiert.«
»Glaubst du, daß eine Frau das getan haben kann?«
»Ich sage das gleiche wie du«, antwortete Nyberg. »Ich will es nicht glauben. Aber ich kann auch sagen, daß sie dann in der Lage sein muß, ohne Probleme achtzig Kilo zu tragen. Welche Frau kann das?«
»Ich kenne keine«, sagte Wallander. »Aber es gibt natürlich welche.«
Nyberg ging wieder an die Arbeit. Wallander wollte den Steg verlassen, als er dicht daneben den einsamen Schwan entdeckte. Er wünschte, er hätte ein Stück Brot bei sich. Der Schwan zupfte an etwas am Ufer. Wallander ging näher heran. Der Schwan zischte und glitt wieder aufs Wasser hinaus.
Er ging zu einem der Polizeiautos und bat darum, nach Ystad gefahren zu werden.
Unterwegs versuchte er zu denken. Was er am meisten befürchtet hatte, war eingetreten. Der Täter war nicht fertig. Sie wußten nichts von ihm. Befand er sich am Anfang oder am Schluß |350| dessen, was er sich vorgenommen hatte? Sie wußten auch nicht, ob er überlegt handelte oder wahnsinnig war.
Es muß ein Mann sein, dachte Wallander. Alles andere widerspricht jeder gesunden Vernunft. Frauen morden äußerst selten. Und noch seltener begehen sie gut geplante Morde. Grausame und ausgeklügelte Gewaltakte.
Es muß ein Mann sein. Vielleicht mehrere. Wir werden diese Geschichte auch nie lösen, wenn wir nicht herausfinden, was die Ermordeten verbindet. Jetzt sind es drei. Das müßte unsere Möglichkeiten verbessern. Aber sicher ist nichts. Nichts enthüllt sich von selbst.
Er lehnte das Gesicht ans Wagenfenster. Die Landschaft braun, mit einem Zug ins Graue. Das Gras jedoch noch grün. Auf einem Feld ein einsamer Traktor.
Wallander dachte an die Pfahlgrube, wo er Holger Eriksson gefunden hatte. Den Baum, an den Gösta Runfelt gebunden und erwürgt worden war. Und jetzt ein Mensch, der lebend in einen Sack gestopft und in den Krageholmssjön geworfen worden war, um zu ertrinken.
Ihm war auf einmal klar, daß das Motiv nichts anderes sein konnte als Rache. Doch dies hier überstieg alle faßbaren Proportionen. Was rächte der Täter? Was war der Hintergrund? Etwas so Ungeheuerliches, daß es nicht ausreichte, einfach zu töten, sondern daß denen, die starben, auch bewußt werden sollte, was mit ihnen geschah.
Dahinter verbergen sich keine Zufälle, dachte Wallander. Alles ist genau ausgedacht – und ausgewählt.
Bei dem letzten Gedanken hielt er inne.
Der Täter wählte. Jemand wurde ausgewählt. Ausgewählt aus einer Gruppe? Aus welcher?
Als er ins Präsidium kam, hatte er das Bedürfnis, sich abzukapseln, bevor er sich mit seinen Kollegen zusammensetzte. Er legte den Telefonhörer neben das Telefon, schob den Stoß mit Telefonmitteilungen auf seinem Tisch zur Seite und legte die Füße auf einen Stapel mit Rundschreiben der Reichspolizeibehörde. Der schwierigste Gedanke war der an die Frau. Daß eine Frau beteiligt sein könnte. Er versuchte, sich an die Gelegenheiten zu erinnern, |351| bei denen er mit weiblichen Gewalttätern zu tun hatte. Es war nicht oft vorgekommen. Er glaubte, sich an alle Fälle, die er in seiner Polizeilaufbahn erlebt hatte, erinnern zu können. Ein einziges Mal, vor ungefähr fünfzehn Jahren, hatte er selbst eine Frau
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