Wallander 06 - Die fünfte Frau
sie dann und wann Kontakt gehabt. Wallander hatte von verschiedenen Seiten gehört, daß Birch ein sehr tüchtiger Kriminalpolizist war, aber zuweilen schwere Depressionen hatte. Als er Wallander jetzt entgegenkam, schien er jedoch in guter Stimmung zu sein. Sie schüttelten sich die Hand.
»Ich bin gerade erst ins Bild gesetzt worden«, sagte Birch. »Ein Kollege von Blomberg ist schon unterwegs, um den Toten zu identifizieren. Wir werden telefonisch benachrichtigt.«
»Und die Witwe?«
»Noch nicht informiert. Wir fanden das zu voreilig.«
»Es erschwert das Verhör«, sagte Wallander. »Sie wird natürlich geschockt sein.«
»Daran können wir wohl nicht viel ändern.«
Birch zeigte auf eine Konditorei auf der anderen Straßenseite. »Wir können da drüben warten. Außerdem bin ich hungrig.«
Wallander hatte auch nichts zu Mittag gegessen. Sie setzten sich in die Konditorei, aßen belegte Brote und tranken Kaffee. Wallander gab Birch eine Zusammenfassung der Ereignisse.
|356| »Das erinnert an das, was ihr im Sommer hattet«, sagte er, als Wallander geendet hatte.
»Nur insoweit, als der Mörder mehr als eine Person tötet«, sagte Wallander. »Ansonsten scheinen die Motive sich zu unterscheiden.«
»Wo liegt denn eigentlich der Unterschied zwischen Skalpieren und Menschen in Säcken zu ertränken?«
»Ich kann es vielleicht nicht in Worte fassen«, sagte Wallander nachdenklich. »Aber es ist doch ein großer Unterschied.«
Birch ließ die Frage fallen. »Das haben wir uns bestimmt nicht vorgestellt, als wir Polizisten wurden«, sagte er statt dessen.
»Ich kann mich kaum noch daran erinnern, was ich mir vorgestellt habe«, sagte Wallander.
»Ich erinnere mich an einen alten Kommissar«, sagte Birch. »Er ist schon lange tot. Karl-Oscar Fredrick Wilhelm Sunesson. Er ist nachgerade eine Legende. Jedenfalls hier in Lund. Er hat das alles kommen sehen. Ich weiß noch, daß er mit uns jüngeren Kriminalbeamten gesprochen hat und uns davor gewarnt hat, daß alles härter werden würde. Die Gewalt würde zunehmen und brutaler werden. Er hat auch erklärt, warum. Er sprach von Schwedens Wohlstand als von einem verdeckten Morast. Der Verfall wäre eingebaut. Er hat sich tatsächlich die Zeit genommen, wirtschaftliche Analysen zu machen und den Zusammenhang zwischen verschiedenen Typen von Kriminalität zu erklären. Außerdem kann ich mich erinnern, daß er einer von den seltenen Menschen war, die niemals schlecht über irgendeinen anderen Menschen redeten. Er konnte kritisch gegenüber Politikern sein, er konnte Vorschläge für Veränderungen im Polizeiwesen mit seinen Argumenten vernichten. Aber er zweifelte nie daran, daß ein guter, wenn auch unklarer Wille dahinterstand. Er sagte immer, daß ein guter Wille, der nicht mit Vernunft einhergeht, größere Katastrophen anrichtet als Handlungen, die auf Böswilligkeit oder Dummheit beruhen. Damals habe ich nicht viel davon verstanden. Aber heute verstehe ich es.«
Wallander dachte an Rydberg. Es hätte auch Rydberg sein können, von dem Birch sprach.
»Das beantwortet die Frage nicht, was wir eigentlich dachten, |357| als wir uns entschlossen haben, zur Polizei zu gehen«, sagte Wallander.
Was Birch meinte, erfuhr Wallander nicht mehr. Das Telefon piepte. Birch hörte zu, ohne etwas zu sagen.
»Er ist identifiziert«, sagte er, als das Gespräch beendet war.
»Dann gehen wir rein«, sagte Wallander.
»Wenn du willst, kannst du ja warten, während wir die Ehefrau informieren«, sagte Birch. »Es ist meistens quälend.«
»Ich gehe mit«, sagte Wallander. »Lieber das, als hier zu sitzen und untätig zu sein. Außerdem kann es mir Aufschluß darüber geben, was für ein Verhältnis sie zu ihrem Mann hatte.«
Die Frau, die ihnen gegenübertrat, war erstaunlich gefaßt und schien sogleich die Bedeutung dessen zu verstehen, daß Polizisten vor ihrer Tür standen. Wallander hielt sich im Hintergrund, während Birch ihr die Todesbotschaft überbrachte. Sie hatte sich auf die äußerste Kante eines Stuhls gesetzt, wie um sich mit den Füßen abstützen zu können, und sie nickte schweigend. Wallander schätzte, daß sie im gleichen Alter war wie ihr Mann. Aber sie wirkte älter, als sei sie vor der Zeit gealtert. Sie war sehr mager, ihre Haut spannte sich hart über den Wangenknochen. Wallander beobachtete sie insgeheim. Er glaubte nicht, daß sie zusammenbrechen würde. Zumindest noch nicht.
Birch nickte Wallander zu, der nach vorn trat. Birch hatte nur
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