Wallander 06 - Die fünfte Frau
Yvonne Ander durch. Auf seinem Tisch lag auch die Abschrift einer Vernehmung, die Hansson mit Tore Grundén durchgeführt hatte, dem Mann, den Yvonne Ander in Hässleholm vor den Zug hatte stoßen wollen. Im Hintergrund fanden sich die gleichen |559| Ingredienzien wie bei all den anderen Namen in ihrem makabren Todesjournal. Der Bankbeamte Tore Grundén hatte sogar einmal eine Strafe wegen Mißhandlung einer Frau abgesessen. Als Wallander Hanssons Vernehmungsprotokoll durchlas, fiel ihm auf, daß Hansson Grundén mit großem Nachdruck klargemacht hatte, wie nahe er daran gewesen war, von dem heranbrausenden Zug in Stücke gerissen zu werden.
Wallander hatte bemerkt, daß es unter seinen Kollegen eine Andeutung von Verständnis gab für das, was Yvonne Ander getan hatte. Das erstaunte ihn. Daß dieses Verständnis überhaupt da war. Obwohl sie Ann-Britt Höglund schwer verletzt hatte, und obwohl sie Männer angegriffen und getötet hatte. Es fiel ihm schwer, zu verstehen, woran das lag. Normalerweise war eine Sammlung von Polizeibeamten nicht gerade prädestiniert dafür, eine Anhängerschar für eine Frau wie Yvonne Ander zu sein. Man konnte sich sogar fragen, ob das Polizeikorps überhaupt Frauen gegenüber freundlich gesinnt war, wenn sie nicht über die spezielle Widerstandskraft verfügten, wie Ann-Britt Höglund und Lisa Holgersson sie besaßen.
Er kritzelte seine Unterschrift hin und schob die Papiere von sich. Es war Viertel vor neun geworden.
Das Haus, das er besichtigen wollte, lag unmittelbar nördlich der Stadt. Am Tag zuvor hatte er sich beim Makler den Schlüssel geholt. Es war ein eingeschossiges Steinhaus, das inmitten eines großen alten Gartens thronte. Es hatte viele Winkel und Ausbauten, und vom Obergeschoß aus hatte man einen Blick aufs Meer. Er schloß auf und ging hinein. Der frühere Besitzer hatte die Möbel mitgenommen, die Räume waren leer. Er ging in der Stille umher, öffnete die Erkertür, die zum Garten hinausführte, und versuchte sich vorzustellen, daß er hier wohnte.
Zu seiner Verwunderung ging dies leichter, als er geglaubt hatte. Offenbar war er nicht so stark mit der Mariagatan verwachsen, wie er befürchtet hatte. Er fragte sich auch, ob Baiba sich hier wohl fühlen könnte. Sie hatte von ihrer eigenen Sehnsucht gesprochen, hinaus aufs Land zu ziehen, weg von Riga, aber nicht zu entlegen, nicht zu isoliert.
|560| Er brauchte nicht lange an diesem Morgen, um sich zu entscheiden. Er würde das Haus kaufen, wenn Baiba nicht dagegen war. Der Preis war auch nicht so hoch, daß er die notwendigen Kredite nicht bewältigen konnte.
Kurz nach zehn verließ er das Haus. Er fuhr direkt zum Makler und versprach, ihm binnen einer Woche seine Entscheidung mitzuteilen.
Nachdem er ein Haus besichtigt hatte, fuhr er weiter, um einen Hund anzusehen. Die Zucht lag an der Straße nach Höör, kurz vor Sjöbo. Hunde bellten aus verschiedenen Zwingern, als er auf den Hof fuhr. Die Besitzerin war eine junge Frau, die zu seiner Verwunderung einen ausgeprägten Göteborger Dialekt sprach.
»Ich möchte mir einen schwarzen Labrador ansehen«, sagte Wallander.
Sie zeigte ihm die Welpen. Sie waren noch klein und noch mit ihrer Mutter zusammen.
»Haben Sie Kinder?« fragte sie.
»Leider keins, das noch zu Hause wohnt«, antwortete er. »Muß man die haben, um einen Welpen zu kaufen?«
»Natürlich nicht. Aber es gibt kaum Hunde, die besser zu Kindern passen.«
Wallander sagte, wie es war. Er würde vielleicht ein Haus außerhalb von Ystad kaufen. Und wenn er sich dazu entschloß, würde er auch einen Hund haben können. Das eine hing mit dem anderen zusammen. Aber es fing mit dem Haus an.
»Nehmen Sie sich Zeit«, sagte sie. »Ich halte einen der Welpen für Sie zurück. Nehmen Sie sich Zeit. Aber nicht zu lange. Für die Labradors habe ich ständig Käufer. Es kommt immer ein Tag, an dem ich sie verkaufen muß.«
Wallander versprach wie bei dem Makler, binnen einer Woche Bescheid zu sagen. Er schluckte, als er den Preis hörte. Konnte ein Welpe wirklich so viel kosten?
Aber er sagte nichts. Er wußte schon jetzt, daß er den Hund kaufen würde, wenn aus dem Hauskauf etwas würde.
Als er die Zucht verließ, war es zwölf. Als er auf die Hauptstraße hinauskam, wußte er auf einmal nicht mehr, wohin er |561| unterwegs war. War er überhaupt irgendwohin unterwegs? Er sollte Yvonne Ander nicht treffen. Im Moment hatten sie einander nichts mehr zu sagen. Sie würden sich wieder treffen,
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