Wallander 06 - Die fünfte Frau
Zimmer. Eine der Schwestern stand auf und ging. Nach ein paar Minuten kam sie zurück.
»Maria auf drei hat Kopfschmerzen«, sagte sie und setzte sich wieder an ihr Kreuzworträtsel. Ylva trank ihren Kaffee. Sie merkte plötzlich, daß sie an etwas anderes dachte, ohne zu wissen, was es war. Dann kam sie darauf.
Die Schwester, die auf dem Korridor vorbeigerannt war.
Plötzlich war ihr, als stimmte etwas nicht. Waren sie nicht alle hier im Zimmer gewesen? Die Glocke der Notaufnahme hatte auch nicht geläutet.
Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Sie mußte geträumt haben.
Aber gleichzeitig wußte sie, daß es nicht so war. Sie hatte eine Schwester, die nicht hierhergehörte, draußen im Korridor gesehen.
»Wer ist da vorbeigegangen?« fragte sie langsam.
Die anderen sahen sie fragend an.
»Hier ist vor ein paar Minuten eine Schwester vorbeigegangen. Als wir alle hier saßen.«
Sie verstanden noch immer nicht, was sie meinte. Sie verstand es selbst nicht. Es läutete wieder. Ylva stellte hastig die Tasse ab.
»Ich geh schon«, sagte sie.
Es war die Frau in Nummer zwei. Ihr war übel. Sie sollte ihr drittes Kind bekommen. Ylva vermutete, daß das Kind nicht besonders gut geplant war. Nachdem sie der Frau etwas zu trinken gegeben hatte, ging sie wieder auf den Korridor. Sie blickte sich |108| um. Die Türen waren geschlossen. Aber es war eine Schwester vorbeigegangen. Sie hatte sich das nicht eingebildet. Plötzlich hatte sie ein ungutes Gefühl. Irgend etwas stimmte da nicht. Sie stand still im Korridor und lauschte. Aus dem Schwesternzimmer war das gedämpfte Radio zu hören. Sie ging wieder zurück und nahm ihre Kaffeetasse.
»Es war nichts«, sagte sie.
Im gleichen Augenblick kam die fremde Krankenschwester wieder draußen im Korridor vorbei. Diesmal sah auch Lena Söderström sie. Alles ging sehr schnell. Sie hörten die Tür zum Hauptkorridor zuschlagen.
»Wer war das?« fragte Lena Söderström.
Ylva Brink schüttelte den Kopf. Die beiden Schwestern sahen von ihren Kreuzworträtseln auf.
»Von wem redet ihr?« fragte die eine.
»Von der Schwester, die eben vorbeigegangen ist.«
Die Schwester mit dem Bleistift in der Hand begann zu lachen. »Wir sind doch hier«, sagte sie. »Alle beide.«
Ylva stand hastig auf. Als sie die Tür zum äußeren Gang aufzog, der die Entbindungsstation mit den anderen Stationen des Krankenhauses verband, war er leer. Sie lauschte. Weit weg hörte sie eine Tür ins Schloß fallen. Sie kehrte zum Schwesternzimmer zurück. Schüttelte den Kopf. Sie hatte niemanden gesehen.
»Was tut eine Schwester aus einer anderen Abteilung hier?« sagte Lena Söderström. »Und ohne zu grüßen?«
Ylva Brink wußte es nicht. Aber sie wußte, daß es keine Einbildung war.
»Laßt uns in allen Zimmern nachsehen«, sagte sie. »Ob alles in Ordnung ist.«
Lena Söderström betrachtete sie forschend. »Was sollte denn nicht in Ordnung sein?«
»Sicherheitshalber«, sagte Ylva Brink. »Sonst nichts.«
Sie gingen in die Zimmer. Alles war, wie es sein sollte. Um ein Uhr bekam eine Frau Blutungen. Der Rest der Nacht war mit Arbeit ausgefüllt. Um sieben Uhr, nach der Übergabe, ging Ylva Brink heim. Sie wohnte in einem Einfamilienhaus dicht beim Krankenhaus. Als sie eintrat, begann sie wieder an die fremde |109| Krankenschwester zu denken. Auf einmal war sie sicher, daß es keine richtige Krankenschwester war. Auch wenn sie Schwesterntracht getragen hatte. Eine Krankenschwester wäre ganz einfach nicht in der Nacht in eine Entbindungsstation gekommen, schon gar nicht, ohne zu grüßen und zu sagen, worum es ging.
Ylva Brink dachte weiter. Die Frau mußte irgend etwas gewollt haben. Sie war ungefähr zehn Minuten dort gewesen. Dann war sie wieder verschwunden. Zehn Minuten. Sie war in einem der Zimmer gewesen und hatte jemanden besucht. Wen? Und weshalb? Sie ging zu Bett und versuchte zu schlafen, aber es gelang ihr nicht. Die fremde Frau ging ihr nicht aus dem Kopf. Um elf Uhr gab Ylva Brink auf. Sie stand auf, machte Kaffee und dachte, daß sie mit jemandem sprechen mußte. Ich habe einen Cousin bei der Polizei. Er kann mir vielleicht sagen, ob ich mir unnötig Sorgen mache. Sie griff zum Telefon und rief bei ihm zu Hause an. Seine Stimme auf dem Anrufbeantworter teilte mit, daß er im Dienst sei. Da es nicht weit war bis zum Polizeipräsidium, beschloß sie, einen Spaziergang zu machen. Wolkenfetzen trieben am Himmel. Sie dachte, daß die Polizei vielleicht samstags keine
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