Wallander 06 - Die fünfte Frau
er sich wieder an Nyberg. »Wie steht es mit Erikssons Haus?«
»Du kannst nicht alles zur gleichen Zeit machen«, sagte Nyberg unwirsch. »Wir haben da draußen im Matsch gestanden, weil es bald wieder regnen kann. Ich glaube, mit dem Haus können wir morgen früh anfangen.«
»Das klingt ja gut«, sagte Wallander freundlich. Auf keinen Fall wollte er Nyberg verärgern. Das konnte eine Mißstimmung hervorrufen, die die ganze Sitzung beeinflußte. Gleichzeitig mußte er sich eingestehen, daß Nybergs ständige schlechte Laune ihn irritierte. Er sah auch, daß Lisa Holgersson, die in der Mitte der einen Längsseite des Tisches saß, Nybergs muffige Antwort bemerkt hatte.
Noch befanden sie sich in der Anfangsphase der Ermittlung. Wallander kam sie häufig wie eine Form von Aufräumungsarbeit vor. Aber sie gingen vorsichtig zu Werke. Solange sie keine Spuren |112| hatten, die sie verfolgen konnten, war alles gleich wichtig. Erst wenn einzelne Dinge weniger bedeutungsvoll erschienen als andere, konnten sie eine oder mehrere Spuren ernsthaft verfolgen.
Als Mitternacht vorüber war, sah Wallander ein, daß sie noch immer weitgehend im dunkeln tasteten. Die Gespräche mit Rut Eriksson und Sven Tyrén hatten sie nicht weitergebracht. Holger Eriksson hatte vier Kubikmeter Heizöl bestellt. Nichts war sonderbar oder beunruhigend gewesen. Die rätselhafte Einbruchsanzeige vom Vorjahr blieb unerklärt. Noch hatten sie nur ein unvollständiges Bild von Holger Erikssons Leben und von seinem Charakter. Die Ermittlung war wie ein Schiff, das noch nicht genügend Fahrt aufgenommen hat, um Ruderwirkung zu haben, und das nur mit Schlepperhilfe vorankam; in ihrem Fall waren dies grundlegende Routinemaßnahmen. Die Ermittlung hatte noch keine Eigendynamik entwickelt.
Weil niemand mehr etwas zu sagen hatte, versuchte Wallander, eine Zusammenfassung zu geben. Während der gesamten Sitzung hatte er das Gefühl gehabt, draußen am Tatort etwas gesehen zu haben, was nach einer Deutung verlangte. Er hatte etwas gesehen, was er nicht verstand.
Die Art und Weise
, dachte er.
Es ist etwas mit diesen Stäben. Ein Mörder spricht eine Sprache, die er bewußt wählt. Warum spießt er einen Menschen auf? Warum macht er sich die Mühe?
Vorerst behielt er seine Gedanken jedoch für sich. Sie waren noch zu unklar, um den anderen vorgelegt zu werden.
Er goß sich ein Glas Mineralwasser ein und schob die vor ihm liegenden Papiere zur Seite.
»Wir suchen immer noch nach einem Einstieg«, begann er. »Wir haben einen Mord, der nichts anderem gleicht. Das kann bedeuten, daß Motiv und Täter auch etwas sind, womit wir noch nie zu tun hatten. In gewisser Weise erinnert das an die Situation vom vergangenen Sommer. Daß wir den Fall gelöst haben, lag daran, daß wir uns nicht auf irgend etwas fixiert haben. Das dürfen wir auch jetzt nicht tun.«
Dann wandte er sich direkt an Lisa Holgersson. »Wir müssen hart arbeiten«, sagte er. »Es ist schon Sonnabend. Aber es hilft |113| nichts. Alle arbeiten heute und morgen mit ihren Dingen weiter. Wir können nicht bis Montag warten.«
Lisa Holgersson nickte. Sie hatte keine Einwände.
Sie beendeten die Sitzung. Alle waren erschöpft. Lisa Holgersson blieb jedoch noch, Ann-Britt Höglund ebenso. Bald waren sie im Konferenzzimmer allein. Wallander dachte, daß ausnahmsweise einmal die Frauen in der Mehrzahl waren in seiner Welt.
»Per Åkesson würde gern Kontakt zu dir aufnehmen«, sagte Lisa Holgersson.
Wallander hatte vergessen, ihn anzurufen. Er schüttelte resigniert den Kopf über sich selbst. »Morgen früh rufe ich ihn an«, sagte er.
Lisa Holgersson hatte ihren Mantel angezogen. Doch Wallander merkte, daß sie noch etwas sagen wollte.
»Spricht eigentlich irgend etwas dagegen, daß dieser Mord von einem Wahnsinnigen ausgeführt worden ist?« fragte sie. »Einen Menschen auf Pfähle aufzuspießen. Das kommt mir vor wie das reinste Mittelalter.«
»Nicht notwendigerweise«, wandte Wallander ein. »Pfahlgruben sind im Zweiten Weltkrieg benutzt worden. Bestialität und Wahnsinn gehen außerdem nicht immer Hand in Hand.«
Lisa Holgersson wirkte nicht zufrieden mit seiner Antwort. Sie lehnte sich an den Türpfosten und betrachtete ihn. »Ich bin trotzdem nicht überzeugt. Vielleicht sollten wir den Kriminalpsychologen hinzuziehen, den wir im Sommer hier hatten? Wenn ich richtig sehe, hat er euch sehr geholfen.«
Wallander konnte nicht leugnen, daß Mats Ekholm an dem glücklichen Abschluß der
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