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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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plötzlichen Tod des Vaters, würde er vielleicht verstehen, was dies für ihn bedeutete. Um diesen Abstand zu gewinnen, mußte er arbeiten. Eine andere Möglichkeit sah er nicht.
    Ich habe nie erfahren, warum er nicht wollte, daß ich Polizeibeamter werde, dachte er, bevor er einschlief. Und jetzt ist es zu spät. Jetzt werde ich es nie mehr erfahren.
    |166| Wenn es eine Welt der Geister gibt, was ich an und für sich bezweifle, könnten mein Vater und Rydberg dort miteinander umgehen. Auch wenn sie sich zu Lebzeiten sehr selten getroffen haben, hätten sie jetzt sicher viel gemeinsamen Gesprächsstoff.
     
    Sie hatte für Gösta Runfelts letzte Stunden einen detaillierten Zeitplan ausgearbeitet. Sie wußte, daß er jetzt, geschwächt wie er war, keinen Widerstand mehr leisten konnte. Sie hatte diesen Widerstand gebrochen, während sie gleichzeitig innerlich sich selbst zerbrochen hatte.
Der Wurm in der Blume kündet von der Blume Tod
, dachte sie, während sie die Tür zum Haus in Vollsjö aufschloß. Sie hatte in ihrem Zeitplan notiert, daß sie um vier Uhr am Nachmittag ankommen würde. Jetzt war sie drei Minuten vor ihrem Zeitplan. Sie würde warten, bis es dunkel geworden wäre. Dann würde sie ihn aus dem Backofen ziehen. Sicherheitshalber wollte sie ihm Handschellen anlegen. Und ihn knebeln. Aber nicht seine Augen verbinden. Auch wenn er Schwierigkeiten haben würde, nach so vielen Tagen in vollkommener Dunkelheit seine Augen wieder ans Licht zu gewöhnen, würde er nach einigen Stunden wieder sehen können. Denn sie wollte, daß er sie wirklich sah. Und die Fotos, die sie ihm zeigen würde. Die Bilder, die ihn verstehen lassen würden, was mit ihm geschah. Und warum.
    Es gab ein paar Einzelheiten, die sie nicht ganz überblickte und die ihre Planung beeinflussen konnten. Unter anderem bestand das Risiko, daß er zu schwach war, um auf den Beinen zu stehen. Deshalb hatte sie vom Hauptbahnhof in Malmö eine kleine, handliche Gepäckkarre mitgenommen. Niemand hatte gesehen, wie sie die Karre in ihren Wagen gelegt hatte. Sie hatte sich noch nicht entschieden, ob sie sie zurückbringen würde. Aber in der Karre konnte sie ihn zum Wagen rollen, wenn es notwendig sein sollte.
    Der übrige Zeitplan war sehr einfach. Kurz vor neun würde sie ihn in den Wald hinausfahren. Sie würde ihn an den Baum binden, den sie schon ausgesucht hatte. Und ihm die Fotografien zeigen.
    Dann würde sie ihn erwürgen. Ihn dort zurücklassen. Spätestens |167| um Mitternacht würde sie zu Hause in ihrem Bett liegen. Ihr Wecker würde um Viertel nach fünf klingeln. Um Viertel nach sieben begann ihre Arbeit.
    Sie liebte ihren Zeitplan. Er war vollkommen. Nichts konnte schiefgehen. Sie setzte sich in einen Stuhl und betrachtete den stummen Ofen, der wie ein Opferfelsen in der Mitte des Raumes thronte. Meine Mutter würde mich verstehen, dachte sie. Was niemand tut, wird nie getan. Böses muß mit Bösem vergolten werden. Wo keine Gerechtigkeit ist, muß sie geschaffen werden.
    Sie nahm ihren Zeitplan aus der Tasche. Sah auf die Uhr. In drei Stunden und fünfzehn Minuten würde Gösta Runfelt sterben.
     
    Lars Olsson fühlte sich am Abend des 11.   Oktober nicht richtig in Form. Bis zuletzt war er unschlüssig, ob er auf seine Trainingsrunde gehen oder es lieber lassen sollte. Es war nicht nur, weil er sich schlapp fühlte. Auf TV 2 lief gerade an diesem Abend ein Film, den er sehen wollte. Endlich beschloß er, sein Training auf die Zeit nach dem Film zu verschieben, auch wenn es spät wurde. Lars Olsson wohnte in einem Haus in der Nähe von Svarte. Er war auf dem Hof geboren und lebte immer noch bei seinen Eltern, obwohl er schon dreißig war. Er war Mitbesitzer eines Baggers und konnte am besten damit umgehen. In dieser Woche hob er einen Graben für eine Drainage auf einem Hof in Skårby aus.
    Doch Lars Olsson war auch ein leidenschaftlicher Orientierungsläufer. Er lebte förmlich dafür, mit Karte und Kompaß durch die schwedischen Wälder zu laufen. Er lief für eine Mannschaft in Malmö, die sich jetzt auf einen großen internationalen Nachtorientierungslauf vorbereitete. Er hatte sich oft gefragt, warum er eigentlich dem Laufen so viel Zeit widmete. Was hatte es für einen Sinn, mit Karte und Kompaß durch die Wälder zu rennen und nach versteckten Schirmen zu suchen? Oft war es kalt und naß, der Körper schmerzte, und er fand seine Leistung nie wirklich zufriedenstellend. War das etwas, um damit sein Leben zu verbringen?

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