Wallander 06 - Die fünfte Frau
identifiziert?« fragte Wallander.
»Er scheint keine Papiere bei sich zu haben. Er war nicht einmal richtig bekleidet. Es sieht offenbar schlimm aus.«
Wallander spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Aber er sagte nichts mehr.
»Sie warten auf dich an der Kreuzung. Die erste Abfahrt Richtung Marsvinsholm.«
Wallander beendete das Gespräch und gab Gas. Ihm graute vor dem Anblick, der ihn erwartete.
Er sah schon von weitem das Polizeiauto und bremste. Vor dem Wagen stand ein Polizist. Wallander erkannte Peters, kurbelte die Scheibe herunter und sah ihn fragend an.
»Kein schöner Anblick«, sagte Peters.
Wallander ahnte, was das bedeutete. Peters war ein erfahrener Polizist. Er würde solche Worte nicht ohne Grund wählen.
»Ist er identifiziert?«
»Er hat kaum Kleider an. Du wirst es ja sehen.«
»Und der ihn gefunden hat?«
»Der ist da.«
Peters ging zu dem anderen Wagen zurück. Wallander fuhr hinterher. Sie kamen in eine Waldpartie südlich vom Schloß. Der Weg endete vor einer bereits überwachsenen Abholzung.
»Das letzte Stück müssen wir gehen«, sagte Peters.
Wallander holte seine Gummistiefel aus dem Kofferraum. Peters und der junge Polizist, von dem Wallander nur wußte, daß er Bergman hieß, hatten starke Taschenlampen. Sie folgten einem Pfad, der aufwärts zu einer kleinen Anhöhe führte. Es roch stark nach Herbst. Wallander dachte, daß er einen dickeren Pullover hätte anziehen sollen. Wenn er die ganze Nacht im Wald bleiben müßte, würde es kalt werden.
»Wir sind gleich da«, sagte Peters.
Wallander spürte, daß er das sagte, um ihn vorzubereiten auf das, was ihn erwartete.
Trotzdem kam der Anblick plötzlich. Die beiden Taschenlampen leuchteten mit makabrer Präzision einen Mann an, der halbnackt an einen Baum gebunden hing. Die Lichtkegel zitterten. In der Nähe schrie ein Nachtvogel. Wallander stand vollkommen |175| reglos. Dann trat er vorsichtig näher. Peters leuchtete ihm, damit er sah, wohin er trat. Der Kopf des Mannes hing auf den Brustkorb herab. Wallander ging in die Knie, um sein Gesicht zu sehen. Er meinte, es bereits zu wissen. Als er das Gesicht sah, bekam er die Bestätigung. Auch wenn die Fotos, die er in Gösta Runfelts Wohnung gesehen hatte, ein paar Jahre alt waren, bestand kein Zweifel. Gösta Runfelt war nicht nach Nairobi gereist. Jetzt wußten sie wenigstens, was statt dessen geschehen war. Er war gestorben. An einen Baum gebunden.
Wallander erhob sich und trat einen Schritt zurück. In seinem Kopf bestand nicht mehr der geringste Zweifel, daß ein Zusammenhang existierte zwischen Holger Eriksson und Gösta Runfelt. Die Sprache des Mörders war die gleiche. Auch wenn die Wortwahl diesmal ein wenig anders war. Ein Pfahlgrab und ein Baum. Das konnte ganz einfach kein Zufall sein.
Er wandte sich zu Peters um. »Große Besetzung«, sagte er.
Peters nickte. Wallander merkte, daß er sein eigenes Telefon im Auto vergessen hatte. Er bat Bergman, es zu holen und die Taschenlampe aus dem Handschuhfach mitzubringen.
»Wo ist der Mann, der ihn gefunden hat?« fragte er dann.
Peters ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe zur Seite wandern. Auf einem Stein saß ein Mann im Trainingsanzug und stützte das Gesicht in die Hände.
»Er heißt Lars Olsson«, sagte Peters. »Er lebt auf einem Hof in der Nähe.«
»Was tat er hier draußen im Wald, mitten in der Nacht?«
»Er ist offenbar Orientierungsläufer.«
Wallander nickte. Peters gab ihm seine Taschenlampe. Wallander ging zu dem Mann, der sofort zu ihm aufblickte, als der Lichtkegel sein Gesicht traf. Er war sehr bleich. Wallander stellte sich vor und setzte sich auf einen Stein neben ihm. Er spürte die Kälte. Unwillkürlich schauerte er zusammen. »Also Sie haben ihn gefunden«, sagte er.
Lars Olsson erzählte. Von dem schlechten Film im Fernsehen. Von seiner nächtlichen Trainingsrunde. Wie er sich entschieden hatte, eine Abkürzung zu nehmen. Und wie seine Stirnlampe auf einmal den Mann angeleuchtet hatte.
|176| »Sie haben eine sehr genaue Zeitangabe gemacht«, sagte Wallander, der sich an das Telefongespräch mit dem wachhabenden Polizisten erinnerte.
»Ich habe auf die Uhr gesehen«, sagte Lars Olsson. »Das ist so eine Angewohnheit von mir. Vielleicht eine schlechte Angewohnheit. Wenn etwas Wichtiges passiert. Ich guck auf die Uhr. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich wahrscheinlich bei meiner Geburt auf die Uhr gesehen.«
Wallander nickte. »Habe ich richtig verstanden, daß Sie hier
Weitere Kostenlose Bücher