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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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sich ein deutliches Bild gemacht, über das er indessen aus verständlichen ermittlungstechnischen Gründen nichts sagen könne.
    Der Gedanke dazu war ihm gekommen, als er das Gefühl hatte, die ganze Ermittlung werde erschüttert, von einem Beben in der Tiefe, das fast nicht zu registrieren war, aber dennoch dagewesen war.
    |225| Der Gedanke war sehr einfach. Bei einem Erdbeben fliehen die Menschen. Sie bewegen sich in aller Hast vom Zentrum fort. Der Täter – oder die Täter – wollte, daß die Umwelt sehen sollte, wie sadistisch und sorgfältig die Morde geplant waren. Jetzt konnten die Ermittler bekräftigen, daß sie es gesehen hatten. Aber sie konnten auch eine ausführlichere Antwort geben. Sie hatten mehr gesehen, als vielleicht beabsichtigt gewesen war.
    Wallander wollte den Täter dazu bringen, sich zu bewegen. Bewegliches Wild war leichter zu sehen als das, was sich still verhielt und sich im Schatten verbarg.
    Wallander war sich natürlich darüber im klaren, daß es auch den gegenteiligen Effekt haben konnte. Der Täter konnte sich unsichtbar machen. Dennoch fand er, daß es den Versuch wert war. Außerdem hatte er Lisa Holgerssons Zustimmung, etwas zu sagen, das nicht ganz korrekt war.
    Sie hatten keine Spur. Alles, was sie hatten, waren fragmentarische Erkenntnisse, die nicht zusammenhingen. Als Wallander schwieg, kamen die Fragen. Auf die meisten war er vorbereitet. Er hatte sie schon früher gehört und beantwortet, er würde sie hören, solange er Polizist war.
    Erst gegen Ende der Pressekonferenz, als Wallander langsam ungeduldig wurde und Lisa Holgersson ihm zugenickt hatte, daß es an der Zeit sei aufzuhören, nahm das Ganze eine Wendung in eine vollkommen andere Richtung. Der Mann, der die Hand hob und dann aufstand, hatte ganz außen in einer Ecke gesessen. Wallander sah ihn nicht und wollte gerade abschließen, als Lisa Holgersson ihn darauf aufmerksam machte, daß es offenbar noch eine Frage gab.
    »Ich komme von der Zeitung
Anmärkaren
«, sagte der Mann. »Ich möchte gern eine Frage stellen.«
    Wallander forschte in seinem Gedächtnis. Er hatte noch nie von einer Zeitung gehört, die
Anmärkaren
hieß. Seine Ungeduld nahm zu. »Von welcher Zeitung kommen Sie?« wollte er wissen.
    »Anmärkaren.«
    Im Saal machte sich Unruhe bemerkbar.
    »Ich muß zugeben, daß ich noch nie von dieser Zeitung gehört habe. Welche Frage wollten Sie stellen?«
    |226| »
Anmärkaren
hat ehrwürdige Ahnen«, antwortete der Mann in der Ecke ungerührt. »Anfang des 19.   Jahrhunderts gab es eine Zeitung dieses Namens. Eine gesellschaftskritische Zeitung. Wir rechnen damit, daß unsere erste Nummer in Kürze erscheint.«
    »Eine Frage«, sagte Wallander. »Wenn Ihre erste Nummer erschienen ist, antworte ich auf zwei Fragen.«
    Im Saal breitete sich eine gewisse Heiterkeit aus. Aber der Mann in der Ecke blieb weiter ungerührt. Er hatte etwas von einem Verkünder an sich. Wallander begann sich zu fragen, ob die noch nicht erschienene Zeitung möglicherweise religiös war. Kryptoreligiös, dachte er. Die neue Geistigkeit hat jetzt auch Ystad erreicht. Söderslätt ist erobert. Jetzt wartet Österlen.
    »Wie stellt sich die Polizei in Ystad dazu, daß die Bewohner von Lödinge beschlossen haben, eine Bürgerwehr zu bilden?« fragte der Mann in der Ecke.
    Wallander konnte sein Gesicht nicht richtig erkennen. »Ich habe noch nichts davon gehört, daß die Leute in Lödinge vorhaben, kollektive Dummheiten zu begehen«, erwiderte er.
    »Nicht nur in Lödinge«, sagte der Mann in der Ecke. »Es gibt Pläne für eine landesweite Volksbewegung. Eine Dachorganisation für die Bürgerwehren. Ein vom Volk gebildetes Polizeikorps, das die Bürger schützt. Das die Dinge tut, um die sich die Polizei nicht kümmert. Oder die sie nicht schafft. Einer der Ausgangspunkte sollte die Gegend um Ystad sein.«
    Es war plötzlich still geworden im Saal.
    »Warum gibt man Ystad die Ehre?« fragte Wallander. Er war noch immer nicht sicher, ob er den Mann von der Zeitung
Anmärkaren
ernst nehmen sollte.
    »Im Laufe weniger Monate hat es eine große Anzahl Morde gegeben. Zwar hat die Polizei das, was im Sommer geschah, aufgeklärt. Aber jetzt scheint es wieder anzufangen. Die Menschen wollen leben, während sie leben. Nicht als Erinnerungen im Bewußtsein anderer. Die schwedische Polizei hat vor dem Verbrechen kapituliert, das heute überall aus seinen Löchern kriecht. Deshalb ist die Bürgerwehr die einzige Möglichkeit, der

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