Wallander 07 - Mittsommermord
selbst eintragen kann, ist der Zeitpunkt meines eigenen Todes. Wenn ich mich nicht entschließe, mir das Leben zu nehmen. Was im Augenblick nicht aktuell ist. Aber der Anwalt, der nach meinem Tod den Nachlaß verwaltet, wird dafür sorgen, daß meine Kalender verbrannt werden. Sie sind nur für mich von Wert. Für niemanden sonst.«
Wallander ahnte, daß Sundelius einer jener Alten war, die viel zu wenig Gelegenheit hatten, mit anderen Menschen zu sprechen. Sein eigener Vater war nicht so gewesen.
»Wenn ich es richtig verstanden habe, teilten Sie das Interesse für den Sternenhimmel?«
»Das ist richtig.«
»Sie sprechen nicht Schonisch. Sie sind also zugezogen?«
»Ich bin am 12. Mai 1959 aus Vadstena gekommen. Der Möbelwagen kam am 14. an. Ich dachte, ich würde ein paar Jahre bleiben. Aber es wurden entschieden mehr als ein paar, wie man sieht.«
Wallander warf einen Blick auf die Regale und Büroschränke in seinem Blickfeld. Nirgendwo sah er Familienfotos.
|315| Sundelius trug auch keinen Ring.
»Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Also geschieden?«
»Ich bin Junggeselle.«
»Wie Svedberg.«
»Ja.«
Wallander fand, daß er ebensogut gleich zur Sache kommen konnte. Er trug noch immer eine Kopie des Fotos der Frau namens Louise in seiner Jackentasche. Er legte sie vor Sundelius auf den Tisch. »Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?«
Sundelius setzte eine Brille auf, die er zunächst mit dem Taschentuch geputzt hatte. Er studierte das Bild genau. »Ist dies nicht das gleiche Bild wie das in der Zeitung kürzlich?«
»Das stimmt.«
»Als die Polizei die Bevölkerung um Mithilfe bei der Identifizierung dieser Frau bat?«
Wallander nickte. Sundelius legte das Foto auf den Tisch.
»Also hätte ich mich schon bei der Polizei melden müssen«, sagte er. »Wenn ich sie gekannt hätte.«
»Und das tun Sie nicht?«
»Nein. Und ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter. Das braucht man als Banker.«
Wallander konnte der Versuchung nicht widerstehen, ein wenig von der eingeschlagenen Route abzuweichen. Er war neugierig geworden. Warum brauchten Bankdirektoren ein gutes Gedächtnis für Gesichter?
Er stellte die Frage und erhielt wieder eine wortreiche Antwort.
»Es gab eine Zeit in meiner Jugend, da war das die einzige Kreditauskunft, die man bekommen konnte. Bevor sich die Gesellschaft in ein einziges großes und allumfassendes Bürgerregister verwandelte. Man spricht in der Regel von der Zeit vor und nach Christi Geburt. Aber die Wahrheit ist wohl eher die, daß man die Zeit in die Epochen vor und nach der Einführung der Personennummer einteilen sollte. War der Mensch, der vor mir stand und Geld leihen wollte, ehrlich? Meinte er, was er sagte? War er unbescholten? Oder stand er da und log mich an? Ich erinnere mich an |316| einen alten Prokuristen in Vadstena, der nie auch nur von einem einzigen Kreditkunden eine Kreditauskunft verlangte. Auch nachdem es leichter geworden war, Auskünfte zu bekommen, und nachdem die Kreditvergabe strenger geregelt worden war. Um wieviel Geld es auch ging, er konzentrierte sich stets auf das Gesicht. Er gründete seine Bewilligungen oder Ablehnungen auf den Eindruck, den er hatte. Und nicht ein einziges Mal in seinem ganzen Leben als Banker hat er sich getäuscht. Die Schurken bekamen eine Ablehnung. Und die Ehrlichen und Fleißigen bekamen ihren Kredit. Ohne zu zögern. Wer Pech haben würde, das konnte weder er noch ein anderer vorhersehen.«
Wallander nickte und ging weiter. »Diese Frau war irgendwie mit Kalle verbunden. Wir haben zuverlässige Informationen darüber, daß sie ungefähr zehn Jahre miteinander verkehrten. Zu sagen, daß sie miteinander verkehrten, ist vielleicht nicht ganz richtig. Sie hatten ein Verhältnis. Kalle war und blieb Junggeselle. Aber er hatte offenbar über sehr lange Zeit hinweg ein Liebesverhältnis mit dieser Frau.«
Sundelius hatte die Kaffeetasse halb zum Mund geführt und erstarrte in dieser Haltung. Als Wallander verstummt war, setzte er sie langsam auf die Untertasse.
»Das war keine zuverlässige Information«, sagte er. »Das ist völlig falsch.«
»In welcher Weise?«
»In jeder. Kalle hatte keine Verlobte.«
»Wir wissen, daß es in größter Heimlichkeit stattfand.«
»Es fand überhaupt nicht statt.«
Wallander sah, daß Sundelius überzeugt war. Aber er las auch ein anderes Gefühl aus seiner Stimme. Zunächst konnte er nicht sagen, was es war. Dann erkannte er, daß Sundelius einen Anflug von
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