Wallander 07 - Mittsommermord
wechseln konnte.
Als er den Strand zum erstenmal verließ, wußte er noch nicht, von wo er kommen würde. Aber beim zweitenmal entdeckte er eine Möglichkeit, die er bis dahin vollkommen übersehen hatte. Es wäre ein Auftritt, der dieser glücklichen Komödie, die er in eine Tragödie zu verwandeln gedachte, würdig wäre.
Plötzlich sah er alles ganz klar. Die Zeit war knapp. Die Autos mußten gestohlen und plaziert werden. In der Nacht davor würde er eine Grube vorbereiten, die er mit Kunststoffolie und einer dünnen Sandschicht bedecken würde. Darin würde die Waffe liegen, und das Handtuch.
Das einzige, was er nicht genau vorhersehen konnte, war das Wetter. Aber der August in diesem Jahr war bisher schön gewesen.
Früh am Samstagmorgen, dem 17. August, trat er auf seinen Balkon hinaus. Eine Regenfront zog langsam vorüber. Bis zum Nachmittag hätte sie sicher keine Bedeutung mehr. Alles würde planmäßig ablaufen. Er kehrte in seinen schallisolierten Raum zurück, legte sich aufs Bett und ging im Kopf noch einmal alles durch, was am Nachmittag geschehen sollte.
Sie waren um zwei Uhr in der Kirche getraut worden, in der Malin vor neun Jahren konfirmiert worden war. Ihr Pastor von damals war gestorben. Aber ihr Bräutigam hatte einen entfernten Verwandten, der Pastor war und sich bereit erklärt hatte, sie zu trauen. |392| Alles war wunschgemäß abgelaufen, die Kirche war voller Verwandter und Freunde, und nachdem die Hochzeitsfotos gemacht waren, wartete das große Fest. Der Fotograf war mit in der Kirche gewesen und hatte immer wieder fotografiert. Im Kopf hatte er sich bereits die Aufnahmen ausgemalt, die er am Strand machen wollte. Er hatte schon früher einmal an dieser Stelle fotografiert. Doch noch nie hatte er solches Glück mit dem Wetter wie heute.
Kurz vor vier waren sie an Ort und Stelle. Zwischen den Zelten und Wohnwagen auf dem Campingplatz waren viele Leute. Unten am Strand spielten Kinder. Ein einsamer Badender war ein Stück weit draußen im Wasser. Sie parkten und gingen zu dem vereinbarten Platz. Um nicht zu stolpern, zog die Braut die Schuhe aus und hob den Rock an. Den Schleier hatte sie sich um den Hals geschlungen. Der Fotograf brauchte nur ein paar Minuten, um sein Stativ aufzubauen und den Schirm auszurichten, der das Licht reflektieren und die Schatten weicher machen sollte. Man hörte entfernten Kinderlärm und ein Radio vom Zeltplatz. Der einsame Schwimmer war noch immer im Wasser. Er war näher am Strand, aber er störte sie nicht.
Alles war bereit. Der Fotograf wartete hinter seiner Kamera. Der Bräutigam hielt der Braut einen Taschenspiegel hin, so daß sie ihren Schleier korrigieren und ihr Make-up überprüfen konnte. Der einsame Badende stieg jetzt aus dem Wasser. Sein Handtuch lag im Sand. Er setzte sich nieder und wandte ihnen den Rücken zu. In ihrem Spiegel sah es aus, als begänne er, im Sand zu graben.
Der Fotograf zeigte, wie er sich die ersten Positionen vorstellte. Sie diskutierten, ob sie ernste Gesichter machen oder lachen sollten. Der Fotograf schlug vor, sie sollten verschiedene Varianten ausprobieren. Es war erst neun Minuten nach vier. Sie hatten viel Zeit.
Als sie das erste Bild gemacht hatten, stand der Mann mit dem Handtuch plötzlich auf und ging den Strand entlang. Der Fotograf machte sich bereit, das nächste Bild zu knipsen. Da entdeckte die Braut, daß der Mann plötzlich die Richtung änderte. Der Fotograf wollte gerade den Auslöser betätigen, als sie die Hand hob. Es wäre besser, den Mann erst vorbeizulassen. Er kam jetzt genau auf sie zu. Das Handtuch hielt er mit einer Hand vor seinen Körper. |393| Der Fotograf nickte und lächelte und wandte sich wieder dem Brautpaar zu. Der Mann lächelte zurück. Gleichzeitig hob er das Handtuch, das um die Waffe gewickelt war, und schoß den Fotografen in den Nacken. Er tat noch einige Schritte auf das Brautpaar zu, bevor er die beiden erschoß. Man hörte nichts als ein paar trockene Knalle. Er blickte sich um. Niemand war da. Niemand hatte etwas gesehen.
Anschließend ging er ruhig über die nächste Düne. Vom Campingplatz aus konnte ihn niemand mehr sehen. Dann begann er zu laufen, bis er den Wagen erreichte, schloß auf und fuhr davon.
Das Ganze hatte weniger als zwei Minuten gedauert. Er merkte, daß er fror. Noch ein Risiko, das er eingegangen war. Das Risiko, sich zu erkälten. Aber die Versuchung war zu groß gewesen. Aus dem Wasser emporsteigen zu können wie der unerreichbare
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