Wallander 07 - Mittsommermord
wie du und ich.«
Martinsson nickte und war nicht in der Lage, ein Gähnen zu unterdrücken. »Ich fahre jetzt nach Hause«, sagte er. »Warum ist man eigentlich Polizist geworden?«
Wallander sagte nichts. Statt dessen holte er sich noch eine Tasse Kaffee, obwohl er bereits Magenschmerzen hatte. Er hob seine Jacke vom Fußboden auf und blieb stehen. Was würde er eigentlich selbst machen? Er war zu erschöpft, um nachzudenken. Aber wahrscheinlich war er auch zu erschöpft, um einzuschlafen.
Er setzte sich noch einmal. Neben dem Telefon bemerkte er einen Zettel, den jemand ihm hingelegt hatte: Er sollte Linda anrufen. Vielleicht war das Restaurant, in dem sie arbeitete, noch geöffnet? Aber er ließ es sein. Er konnte nicht mehr.
Unter einigen Papieren lugte eine Kopie des Fotos von Louise hervor. Er betrachtete das Bild. Das Gefühl, daß an diesem Bild etwas seltsam war, kehrte wieder, aber er kam noch immer nicht darauf, was es war. Zerstreut steckte er das Bild in die Jackentasche und legte die Füße auf den Tisch.
Er schloß die Augen, um ihnen einen Moment Ruhe zu gönnen.
Fast augenblicklich schlief er ein.
Er erwachte mit einem Ruck, ohne zu wissen, wo er sich befand. Im Schlaf hatte er die Füße vom Tisch genommen. Er war von einem Wadenkrampf wach geworden. Es war neun Minuten vor |417| vier. Er hatte fast eine Stunde geschlafen. Sein ganzer Körper tat weh. Lange saß er unbeweglich da, ohne einen einzigen Gedanken zu fassen. Dann ging er auf die Toilette und wusch sich das Gesicht. Zuvor hatte er seine Schreibtischschubladen vergebens nach einer Zahnbürste durchsucht.
Die drückende Entschlußlosigkeit wich nicht. Er brauchte ein Bad und saubere Kleidung. Ohne sich wirklich entschieden zu haben, verließ er das Präsidium.
Draußen wehte eine schwache Brise. Der Wind war warm. Er ging durch die verlassene Stadt. Als er zur Mariagata kam, sagte er sich, daß der Schlaf noch warten mußte. Es war vier Uhr. In einer Stunde konnte er bei Bror Sundelius läuten. Der Bankdirektor war sehr deutlich gewesen, was seine morgendlichen Gewohnheiten betraf. Um fünf Uhr war er aufgestanden und angekleidet. Wallander hatte den Gedanken noch immer nicht aufgegeben, daß die Verbindung zwischen einer zehn Jahre alten Anzeige beim Justiz-Ombudsmann, Svedberg und Bror Sundelius ihn vielleicht dem Geheimnis Svedbergs irgendwie näherbringen konnte.
Ein Entschluß ergab den anderen. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr hinaus nach Nybrostrand. Es müßte dort um diese Nachtzeit menschenleer sein. Bis auf die wachhabenden Polizisten. Wallander wußte, daß er häufig neue Details entdeckte, wenn er sich allein an einem Tatort aufhielt.
Er brauchte nicht lange für den Weg hinaus nach Nybrostrand. Wie er es geahnt hatte, war es ruhig um die Absperrungen herum. Ein Streifenwagen stand auf dem Strand. Hinter dem Steuer saß jemand und schlief. Davor stand ein Polizist und rauchte. Wallander trat zu ihm und grüßte. Es war derselbe Polizist, der in einer der vergangenen Nächte den Eingang zum Naturreservat bewacht hatte.
»Alles ruhig?« fragte er.
»Bis eben haben sich Neugierige hier herumgetrieben. Ich begreife nicht, worauf die hier noch warten.«
»Es ist wohl vor allem das Gefühl, sich in der Nähe der Katastrophe zu befinden«, meinte Wallander. »In der sicheren Gewißheit, daß man selbst nicht betroffen ist.«
|418| Er stieg über die Absperrung und ging zum Tatort, den ein Scheinwerfer beleuchtete. Wallander stellte sich an die Stelle, an der seiner Meinung nach der Fotograf gestanden haben mußte. Dann wandte er sich langsam um und ging zu der kleinen abgedeckten Grube am Ufer.
Der Mann, der hier auf seinem gestreiften Handtuch gesessen hat, wußte alles, dachte Wallander. Er war nicht nur gut informiert. Er wußte im Detail, was geschehen würde. Als sei er schon an der Planung beteiligt gewesen.
Konnte das möglich sein? Wallander nahm an, daß Rolf Haag einen Assistenten hatte. Das würde erklären, woher der Täter wußte, wo die Bilder des Brautpaars aufgenommen werden sollten. Aber woher hätte dieser Assistent von dem Fest wissen sollen, das im Naturreservat geplant war? Woher kannte er Bärnsö? Und wie hatte sein Verhältnis zu Svedberg ausgesehen?
Wallander ließ den Gedanken zunächst fallen. Aber er würde darauf zurückkommen. Er stapfte die Dünen hinauf. Stellte sich das Motiv vor – festlich gekleidete junge Menschen –, zu dem Svedberg nicht paßte. Svedberg war kein
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