Wallander 07 - Mittsommermord
Wallander nicht paßte. Er spürte, wie seine Ungeduld und die Irritation wuchsen, und das machte ihn zu einem schlechten Polizisten.
»Es geht vor allem darum, ob ein Außenstehender gewußt haben kann, wann die Fotos gemacht werden sollten. Es würde uns die Möglichkeit geben, den Kreis derer einzugrenzen, die über die nötige Information verfügten.«
»Ich bin gestern abend das Atelier durchgegangen«, berichtete Birch. »Es hat die halbe Nacht gedauert. Da war ein Brief vom 28. Juli. Von Torbjörn Werner an Haag. Darin bekräftigt er den Ort und den Zeitpunkt.«
»Wo ist der Brief aufgegeben?«
»Datiert ist er in Lund.«
»Und wo ist der Brief jetzt?«
»Er liegt auf einem Regal in meinem Zimmer.«
»Der Umschlag ist aber nicht dabei? Du hast also keinen Poststempel?«
»Ich meine, es hätte ein Plastiksack mit Papier im Atelier gestanden. Vielleicht liegt der Umschlag darin. Sonst ist er wohl im Müll gelandet. Es ist immerhin ein paar Wochen her.«
|441| »Wir sollten diesen Umschlag finden.«
»Warum ist das so wichtig? Wenn der Brief in Lund datiert ist, kann man doch wohl annehmen, daß er dort auch aufgegeben wurde.«
»Was ich vor allen Dingen wissen möchte, ist, ob der Umschlag Spuren aufweist, daß er mehr als einmal geöffnet worden ist. Wir müssen ihn finden, damit die Techniker ihn gründlich untersuchen können.«
Birch verlangte keine weiteren Erklärungen. Er würde sofort ins Atelier fahren.
»Du arbeitest nach einer riskanten Theorie«, warnte er.
»Im Moment habe ich keine andere«, erwiderte Wallander. »Vielleicht geht es auch hauptsächlich darum, eine negative Bestätigung zu bekommen. Daß der Brief nicht öfter als einmal geöffnet wurde, so daß ich diese Gedanken ad acta legen kann.«
Birch versprach, sich zu melden, sobald er Neuigkeiten hatte.
Sie kehrten nach Ystad zurück. Es war inzwischen zwölf Uhr. Wallander bat Ann-Britt, ihn auf Österleden abzusetzen. Er mußte etwas essen. Sie lehnte ab, als er sie fragte, ob sie mitkäme.
Er ging in seine Wohnung und briet sich ein paar Eier. Dann legte er sich aufs Bett und stellte den Wecker auf eine halbe Stunde später. Um zehn nach eins war er wieder im Präsidium.
Er ging in sein Büro, wühlte die Telefonnotizen durch und schrieb anschließend, ohne einmal abzusetzen, eine Übersicht über das, was geschehen war. Er wollte versuchen, sich eine Meinung darüber zu bilden, über welche Informationen der Täter mindestens verfügt haben mußte. Als er das Geschriebene durchlas, bekam er das Gefühl, seine eigene Theorie, die der geöffneten Briefe, allzuschnell aufgegeben zu haben. Er ging hinaus in die Anmeldung und fragte das Mädchen, das Ebba an den Wochenenden vertrat, ob sie wisse, wo im Bezirk Ystad die Post sortiert werde. Sie wußte es nicht.
»Man könnte das vielleicht in Erfahrung bringen«, schlug Wallander vor.
»An einem Sonntag?«
»Für uns ein normaler Arbeitstag.«
»Aber doch kaum für die Post.«
|442| Wallander erwog einen Moment, ob er seinen Ärger zeigen sollte. Aber er unterdrückte den Impuls.
»Soweit ich weiß, werden Briefkästen auch sonntags geleert«, versuchte er es freundlich. »Wenigstens einmal. Das bedeutet, daß es irgendwo bei der Post die eine oder andere Person geben muß, die auch sonntags arbeitet.«
Sie versprach zu versuchen, ihm die Antwort auf seine Frage zu beschaffen. Wallander hastete zurück in sein Büro. Als er die Tür seines Zimmers hinter sich schloß, schoß ihm eine Erinnerung durch den Kopf. In dem Gespräch mit Ann-Britt Höglund hatten er und sie konstatiert, daß zwei Landbriefträger in ihrer Ermittlung aufgetaucht waren. Jetzt sah er plötzlich, daß ein weiterer darin erschienen war. Er setzte sich an den Tisch und hielt die Erinnerung fest. Was hatte Sture Björklund gesagt? Er habe das Gefühl gehabt, jemand sei auf seinem Hof gewesen. Jemand, der dort nichts zu suchen hatte. Seine Nachbarn wußten, daß er in Frieden gelassen werden wolle. Der einzige, der regelmäßig zu ihm käme, sei der Briefträger.
Ein Briefträger, der Svedbergs Teleskop in Björklunds Schuppen stellt, dachte Wallander. Das ist nicht nur ein absurder Gedanke. Das ist ein verrückter Gedanke. Etwas, was man denken kann, wenn einem wirklich gar nichts anderes mehr übrigbleibt.
Er ging mißgelaunt dazu über, verschiedene Berichte durchzublättern, die er noch nicht hatte lesen können. Aber er hatte kaum damit begonnen, als Martinsson in der Tür erschien.
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