Wallander 07 - Mittsommermord
ungeduldig«, meinte Wallander. »Ich mache immer wieder den gleichen Fehler. Und meine Ungeduld wird von Jahr zu Jahr größer.«
Kurz vor halb elf kamen sie ins Präsidium. Wallander war erstaunt darüber, keine Journalisten vorzufinden. Er war überzeugt gewesen, daß die Neuigkeit von den toten Jugendlichen im Naturreservat |221| schon durchgesickert war. Er hängte die Jacke in sein Zimmer und ging dann zum Eßraum. Erschöpfte und schweigende Polizisten saßen über Kaffeetassen und Pizzareste gebeugt. Wallander hatte das Gefühl, ein paar aufmunternde Worte sagen zu müssen. Aber wie konnte man eine Stimmung aufhellen, die davon geprägt war, daß man drei erschossene Jugendliche auf einem blauen Tuch in einem Sommerwald gefunden hatte? Und irgendwo im Hintergrund der noch frische Mord an einem ihrer eigenen Kollegen.
Er sagte nichts. Nickte lediglich in die Runde.
Hansson betrachtete ihn mit müden Augen. »Wann setzen wir uns zusammen?«
Wallander warf einen Blick auf die Uhr. »Um halb elf. Ist Martinsson da?«
»Er ist unterwegs.«
»Lisa?«
»In ihrem Büro. Ich glaube, es war schwer für sie in Lund. Alle Eltern. Nacheinander mußte jedes Elternpaar sein Kind identifizieren. Eva Hillström war allerdings allein gekommen.«
Wallander hörte zu, ohne etwas zu sagen. Dann ging er zu Lisa Holgerssons Büro. Die Tür war angelehnt. Sie saß vollkommen regungslos am Schreibtisch. Ihre Augen schienen zu glänzen. Er klopfte und schob die Tür auf. Sie nickte ihm zu, hereinzukommen.
»Ich hoffe, du bereust es nicht, allein nach Lund gefahren zu sein.«
»Da gibt es nichts zu bereuen. Aber es war genauso gräßlich, wie du gesagt hast. Es gibt keine Worte dafür. Eltern, die plötzlich an einem Augusttag ihre toten Kinder identifizieren müssen. Die Leichenwäscher, die sie hergerichtet haben, hatten wirklich gute Arbeit geleistet. Aber es war ja trotzdem nicht zu verbergen, daß sie schon längere Zeit tot waren.«
»Hansson sagte, Eva Hillström sei allein gekommen?«
»Sie war außerdem am gefaßtesten. Wahrscheinlich, weil sie dies erwartet hatte.«
»Sie wird uns Vorwürfe machen. Vielleicht zu Recht. Weil wir nichts unternommen haben.«
|222| »Ist das deine aufrichtige Meinung?«
»Nein. Aber ich weiß nicht, wieviel meine Meinung eigentlich wert ist. Hätten wir mehr Personal, wäre die Situation eine andere gewesen. Wäre nicht gerade Urlaubszeit, hätte manches anders laufen können. Es gibt immer Erklärungen. Aber am Ende steht da eine einsame Mutter und sieht, daß sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet haben.«
»Ich wollte mit dir darüber sprechen, daß wir Verstärkung brauchen. Hilfe von außerhalb. Und zwar so schnell wie möglich.«
Wallander war zu müde, um zu widersprechen. Aber im Innersten war er anderer Ansicht. Es gab immer die Hoffnung, daß eine größere Anzahl von Mitarbeitern ein bestimmtes Ziel rascher erreichte. Doch seine Erfahrung hatte ihn anderes gelehrt. Die kleine, fest zusammengeschweißte Ermittlungsgruppe erwies sich meistens als die effektivste.
»Was meinst du dazu?«
Wallander zuckte die Achseln. »Du kennst meine Meinung. Aber ich werde nicht dagegen angehen, wenn du Verstärkung anfordern willst.«
»Ich hatte vor, das Thema schon heute abend anzuschneiden.«
Wallander riet davon ab. »Wir sind alle viel zu fertig. Du bekommst keine vernünftige Antwort. Warte bis morgen.«
Es war Viertel vor elf. Wallander stand auf. Gemeinsam gingen sie zum Sitzungszimmer. Martinsson kam den Gang entlang. Seine Hosenbeine waren von oben bis unten lehmverschmiert.
»Was hast du denn gemacht?« fragte Wallander.
»Ich wollte eine Abkürzung durch das Reservat nehmen«, antwortete Martinsson düster. »Dabei bin ich ausgerutscht. Aber ich habe noch eine Hose in meinem Zimmer. Ich komme gleich.«
Wallander ging auf eine Toilette und trank Wasser. Im Spiegel sah er sein Gesicht. Er wandte den Blick ab.
Um zehn vor elf schlossen sie die Tür hinter sich. Svedbergs Stuhl blieb weiterhin leer. Nyberg war vom Tatort hergekommen. Als Wallander ihn ansah, schüttelte er den Kopf. Keine entscheidenden Funde.
Wallander berichtete zunächst von seinem Besuch im Krankenhaus. Den Walkman und die Kassette hatte er mitgebracht.
|223| Eine Wolke von Beklemmung breitete sich im Raum aus, als sie Svedbergs Stimme hörten. Aber als Wallander danach seine Schlußfolgerung darlegte, spürte er, wie die dumpfe Mattigkeit für einen Moment von ihnen wich. Svedberg
Weitere Kostenlose Bücher