Wallander 08 - Die Brandmauer
jetzt«, zischte er.
»Sollten wir nicht noch eine Weile bleiben?«
»Dann mußt du es übernehmen. Sie haben erfahren, was sie wissen müssen. Den Rest füllen sie genausogut selbst aus.«
Fernsehen und Radio wollten Interviews.
Wallander bahnte sich einen Weg durch den Wald von Mikrophonen und Kameraaugen. »Das hier mußt du machen«, sagte er zu Lisa Holgersson. »Oder bitte Martinsson. Ich muß jetzt nach Hause.«
Sie waren in den Korridor gelangt. Sie sah ihn verwundert an.
»Gehst du nach Hause?«
»Wenn du willst, darfst du deine Hand auf meine Stirn legen. Ich bin krank. Ich habe Fieber. Es gibt andere Polizisten, die nach der Hökberg suchen können. Und alle diese Scheißfragen beantworten können.«
Er ließ sie stehen, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich mache einen Fehler, dachte er. Ich sollte hierbleiben und versuchen, in diesem Chaos einigermaßen Ordnung zu halten. Aber gerade im Moment schaffe ich es nicht.
Er kam in sein Zimmer und zog sich die Jacke an, als ein Zettel |74| auf seinem Schreibtisch seine Aufmerksamkeit gefangennahm. Es war Martinssons Handschrift.
»Den Ärzten zufolge ist Tynnes Falk eines natürlichen Todes gestorben. Kein Verbrechen. Können wir also ad acta legen.« Es dauerte ein paar Sekunden, bis Wallander einfiel, daß es sich um den Mann handelte, der tot vor dem Geldautomaten bei den Kaufhäusern gelegen hatte. Dann bleibt uns das wenigstens erspart, dachte er.
Er verließ das Präsidium durch die Garage, um keine Journalisten zu treffen. Es stürmte jetzt. Er duckte sich gegen die Böen auf dem Weg zu seinem Wagen. Als er den Zündschlüssel umdrehte, passierte nichts. Er versuchte es mehrfach, aber der Motor war tot.
Er löste den Sicherheitsgurt und stieg aus, ohne sich die Mühe zu machen, abzuschließen. Auf dem Weg zur Mariagata fiel ihm das Buch ein, das er aus der Buchhandlung abzuholen versprochen hatte. Aber das mußte warten. Alles mußte warten. Jetzt wollte er nur schlafen.
Das Erwachen war wie der Sprung aus einem Traum.
Er war wieder auf der Pressekonferenz gewesen, aber sie hatte in dem Reihenhaus stattgefunden, in dem Sonja Hökberg wohnte. Wallander hatte keine einzige der Journalistenfragen beantworten können. Dann hatte er ganz hinten im Raum seinen Vater entdeckt. Er saß augenscheinlich ungerührt zwischen den Fernsehkameras und malte eine seiner immer gleichen Herbstlandschaften.
Wallander lag still und horchte. Der Wind drückte gegen das Fenster. Er drehte den Kopf. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte halb sieben. Er hatte fast vier Stunden geschlafen. Er versuchte zu schlucken. Sein Hals war geschwollen und rauh. Aber das Fieber war gefallen. Er ahnte, daß sie Sonja Hökberg noch immer nicht gefaßt hatten. Sonst hätte jemand angerufen. Er stand auf und ging in die Küche. Da lag der Zettel, daß er Seife kaufen müsse. Er schrieb dazu, daß er in der Buchhandlung ein Buch abholen wollte. Dann machte er Tee. Vergebens suchte er nach einer Zitrone. Im Gemüsefach lagen nur ein paar alte Tomaten und eine angefaulte |75| Gurke. Er nahm die Teetasse mit ins Wohnzimmer. Überall in den Ecken lag Staub. Er ging zurück in die Küche und schrieb »Staubsaugerbeutel« auf seinen Einkaufszettel. Am besten wäre es natürlich, wenn er einen neuen Staubsauger kaufte.
Er zog das Telefon an sich und rief im Präsidium an. Der einzige, den er erreichte, war Hansson.
»Wie geht es?«
Hansson klang müde. »Sie ist spurlos verschwunden.«
»Keiner, der sie gesehen hat?«
»Nichts. Der Reichspolizeichef hat angerufen und sich skeptisch zu dem Vorgefallenen geäußert.«
»Das kann ich mir denken. Aber ich schlage vor, daß wir darauf im Moment nichts geben.«
»Ich habe gehört, daß du krank bist?«
»Morgen bin ich wieder in Ordnung.«
Hansson berichtete ihm, wie die Fahndung angelaufen war. Wallander hatte keine Einwände. Man hatte eine regionale Suchaktion veranlaßt und die landesweite Fahndung vorbereitet. Hansson versprach, sich zu melden, wenn etwas passierte.
Wallander beendete das Gespräch und griff zur Fernbedienung. Er sollte sich die Nachrichten ansehen. Sicher würde Sonja Hökbergs Flucht die große Neuigkeit in den Südnachrichten sein. Vielleicht würde sie sogar als würdig erachtet, eine Reichsnachricht zu werden. Aber er legte die Fernbedienung wieder weg. Statt dessen schob er eine CD mit Verdis ›La Traviata‹ ein. Er legte sich auf die Couch und schloß die Augen. Dachte an Eva Persson und ihre Mutter. An
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