Wallander 09 - Der Feind im Schatten
ebenso wenig.«
»Hat das nie zu Problemen zwischen ihnen geführt?«
»Davon weiß ich jedenfalls nichts. Er hing sehr an ihr und sie sehr an ihm. Träume können ihren Wert haben, selbst wenn man sie nicht verwirklichen kann.«
Die Verbindung war schlecht, die Schäre, auf der Nordlander sich befand, lag am äußersten Rand der Funkdeckung. Sie verabredeten, dass Nordlander wieder anrufen würde, wenn er aufs Festland zurückgekehrt war.
Wallander legte das Telefon langsam auf den Tisch. Saß reglos da. Plötzlich hatte er das starke Gefühl, zu wissen, wo Håkan von Enke sich versteckte. Sten Nordlander hatte ihm die Richtung angedeutet, in die er sich wenden musste.
Er konnte nicht sicher sein und hatte keine Beweise. Dennoch wusste er es.
Er dachte plötzlich an ein Buch, das er in Signe von Enkes Regal gesehen hatte, neben den Babar-Büchern. Das Märchen von Dornröschen. Ich habe lange geschlafen, dachte Wallander. Ich hätte viel früher begreifen müssen, wo er sich aufhält. Erst jetzt wache ich auf.
Er wurde wirklich alt. Dass er nicht sah, was direkt vor ihm lag.
Jussi bellte. Wallander ging nach draußen und gab ihm sein Fressen.
Früh am nächsten Morgen setzte er sich in den Wagen. Die Bauersfrau sah ihn verwundert an, als er schon wieder mit Jussi erschien.
Sie fragte, wie lange er fortbleiben würde. Er sagte es, wie es war.
Er wusste es nicht. Er hatte keine Ahnung.
30
Er mietete ein sechs Meter langes offenes Kunststoffboot mit einem 7 PS Evinrude-Außenbordmotor. Der Vermieter gab ihm auch eine Seekarte. Wallander hatte dieses Boot gewählt, weil er es gerade noch selbst rudern konnte, und er nahm an, dass das nötig werden würde. Als er den Mietvertrag unterzeichnete, legte er seinen Polizeiausweis vor. Der Mann zuckte zusammen.
»Alles in Ordnung«, sagte Wallander. »Ich brauche einen zweiten Tank mit Benzin. Vielleicht bringe ich das Boot morgen schon zurück, vielleicht behalte ich es ein paar Tage länger. Sie haben ja meine Kreditkartennummer und wissen, dass Sie Ihr Geld kriegen.«
»Besuch von der Polizei«, sagte der Mann. »Ist etwas passiert?«
»Nein. Ich will nur einen guten Freund überraschen, der fünfzig wird.«
Wallander hatte seine Lüge nicht vorbereitet. Er war es gewohnt, Ausflüchte zu suchen, es ging inzwischen wie von selbst.
Das Boot lag eingeklemmt zwischen zwei größeren Motorbooten, das eine von der Marke Storö. Der Außenborder hatte keinen elektrischen Starter, sprang aber sofort an, als Wallander an der Schnur zog. Der Vermieter erklärte in seinem finnischen Akzent, der Motor sei garantiert zuverlässig.
»Ich benutze das Boot selbst zum Fischen«, sagte er. »Das Problem ist nur, dass es kaum noch Fisch gibt. Aber ich fische trotzdem.«
Es war vier Uhr am Nachmittag. Wallander war vor einer Stunde in Valdemarsvik angekommen. Er hatte im wahrscheinlich einzigen Restaurant des Ortes gegessen und dann nach der Bootsvermietung gesucht, die ganz in der Nähe lag, auf einer Seite der langen Valdemarsvik. Wallander hatte einen Rucksack gepackt, in dem sich auch Taschenlampen und ein Paket mit Essen befanden. Außerdem hatte er warme Kleidung mitgenommen, obwohl es jetzt am Nachmittag warm war.
Auf dem Weg hinauf nach Östergötland war er durch mehrere Regenfronten gefahren. Einmal, nicht weit von Ronneby, war das Unwetter so stark gewesen, dass er auf einem Parkplatz anhalten musste, um das Ende des Regens abzuwarten. Während er dem Prasseln auf dem Wagendach lauschte und das Wasser an der Frontscheibe herabströmen sah, fragte er sich, ob sein Spürsinn ihn diesmal getäuscht hätte oder ob es sich, wie so viele Male zuvor, zeigen würde, dass er die Situation richtig gedeutet hatte.
Er blieb fast eine halbe Stunde in Gedanken versunken auf dem Parkplatz stehen, bis der Regen abrupt aufhörte. Als er in Valdemarsvik eintraf, hatte es aufgeklart und war nahezu windstill. Nur leichte Böen kräuselten das Wasser.
Es roch nach Schlamm und Lehm. Er erinnerte sich, dass es bei seinem letzten Besuch auch so gerochen hatte.
Wallander startete den Außenborder und fuhr davon. Der Vermieter sah ihm lange nach, bevor er zu seinem Büro zurückging. Wallander wollte noch bei Tageslicht aus der langen Bucht herauskommen. Dann würde er irgendwo anlegen und den Abend und die sommerliche Dämmerung abwarten. Er hatte versucht auszurechnen, in welcher Phase sich der Mond befand, aber ohne Erfolg. Er hätte Linda anrufen können. Da er aber
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