Wallander 09 - Der Feind im Schatten
erreichen, wurde er ungeduldig. Er sagte der jungen Frau in der Vermittlung, sie solle Hans ausrichten, dass er sich binnen einer Stunde mit Kriminalkommissar Kurt Wallander in Verbindung setzen solle. Wallander hatte gerade die Waschmaschine aufgemacht und gemerkt, dass er kein Waschmittel zugegeben hatte, als das Telefon klingelte. Hans verbarg seine Gereiztheit nicht.
»Was machst du morgen?«
»Ich arbeite. Warum hörst du dich so verbiestert an?«
»Nichts Besonderes. Wann hast du Zeit für mich?«
»Höchstens am Abend. Ich habe den ganzen Tag Termine.«
»Ändere sie. Ich komme um zwei Uhr nach Kopenhagen. Ich brauche eine Stunde, nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
»Ist etwas passiert?«
»Es passiert ständig etwas. Wenn es einfach zu sagen wäre, hätte ich es schon getan. Ich brauche Antworten auf einige Fragen, ein paar neue, aber auch ein paar alte.«
»Ich wäre dir dankbar, wenn es bis zum Abend warten könnte. Die Finanzmärkte sind in Unruhe. Es finden unkalkulierbare Bewegungen statt.«
»Ich komme um zwei«, sagte Wallander. »Kaffee ist in Ordnung.« Er legte auf und stellte die Waschmaschine wieder an, nachdem er diesmal zu viel Waschmittel zugegeben hatte. Er fand sich kindisch, weil er die Waschmaschine für seine Vergesslichkeit strafte.
Dann mähte er den Rasen, harkte die Kieswege, legte sich in die Hollywoodschaukel und las einen Roman über den Opernkomponisten Verdi. Das Buch hatte er sich selbst zu Weihnachten geschenkt. Als er die Waschmaschine ausräumte, zeigte sich, dass ein rotes Taschentuch unter die Wäsche geraten war und sie verfärbt hatte. Also ließ er das Programm zum dritten Mal durchlaufen. Anschließend setzte er sich auf die Bettkante, stach sich in den Finger und maß seinen Blutzucker. Damit nahm er es auch nicht immer genau. Der Wert war jedoch noch in Ordnung, 8,1.
Dann legte er sich aufs Sofa und hörte sich eine vor kurzem gekaufte Aufnahme von Rigoletto an. Er dachte an Baiba, hatte Tränen in den Augen und träumte sie sich wieder lebendig. Aber sie war fort und würde nie wiederkommen. Als die Musik geendet hatte, taute er ein Fischgratin aus der Tiefkühltruhe auf und trank Wasser dazu. Er schielte zu einer Flasche Wein auf der Anrichte hinüber, ließ sie aber ungeöffnet. Der Wodka, den er zuvor getrunken hatte, war genug. Am Abend sah er im Fernsehen Manche mögen’s heiß , einen von Monas und seinen Lieblingsfilmen. Obwohler den Film schon viele Male gesehen hatte, konnte er immer noch darüber lachen.
In dieser Nacht schlief er gut, zu seiner eigenen Verwunderung.
Linda rief am Morgen an, als er beim Frühstück saß. Das Fenster stand offen, der Tag war schön und warm. Wallander saß nackt auf dem Küchenstuhl.
»Was hat Ytterberg dazu gesagt, dass Håkan sich gemeldet hat?«
»Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen.«
Sie reagierte verwundert und aufgebracht. »Warum nicht? Wenn einer wissen muss, dass Håkan noch lebt, dann doch er.«
»Håkan hat mich gebeten, nichts zu sagen.«
»Davon hast du gestern nichts gesagt.«
»Ich habe es wohl vergessen.«
Sie spürte sofort, dass seine Antwort ausweichend und unbestimmt war. »Gibt es noch mehr, was du mir nicht erzählt hast?«
»Nein.«
»Dann solltest du auf der Stelle Ytterberg anrufen.«
Wallander hörte die Verärgerung in ihrer Stimme. »Wenn ich dir jetzt eine ganz aufrichtige Frage stelle, bekomme ich dann eine aufrichtige Antwort?«
»Ja.«
»Was steckt eigentlich hinter der ganzen Geschichte? Wie ich dich kenne, hast du eine Meinung.«
»In diesem Fall habe ich keine. Ich bin ebenso verwirrt wie du.«
»Es gibt jedenfalls keine annehmbare Erklärung dafür, dass Louise eine Spionin gewesen wäre.«
»Annehmbar oder nicht, das kann ich nicht beantworten. Aber die Polizei hat nun mal gewisse Dinge in ihrer Tasche gefunden.«
»Die muss ihr jemand hineingelegt haben. Das ist die einzige Erklärung. Eine Spionin war sie auf keinen Fall«, wiederholte Linda. »Da sind wir ganz sicher.«
Sie verstummte, wartete vielleicht darauf, dass er ihr zustimmte. Plötzlich hörte er Klara im Hintergrund schreien.
»Was macht sie?«
»Sie liegt im Bett. Und will da nicht bleiben. Das wollte ich übrigens schon immer fragen. Wie war ich? Habe ich viel gebrüllt? Habe ich dich das schon einmal gefragt?«
»Alle Kinder schreien. Du hattest Koliken, als du klein warst. Darüber haben wir schon einmal gesprochen. Dass ich es war und nicht Mona, die dich nachts herumgetragen
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