Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Kopenhagen herauf. Da begann Wallander einzusehen, dass durchaus etwas passiert sein konnte.
Wallander war zu diesem Zeitpunkt, im April, noch nicht wieder an seine Arbeit zurückgekehrt. Die interne Ermittlung hatte sich in die Länge gezogen. Außerdem war er Anfang Februar auf dem glatten Weg vor seinem Haus gestürzt und hatte sich das linke Handgelenk gebrochen. Er war nicht einfach ausgerutscht, sondern war über Jussis Leine gestolpert, weil der Hund immer noch zerrte und zog und auch nicht auf der richtigen Seite ging. Das Handgelenk war eingegipst und Wallander krankgeschrieben worden. Es war eine Periode großer Ungeduld und häufig aufflammender Wutanfälle, unter denen nicht nur er selbst und Jussi, sondern vor allem Linda zu leiden hatte. Sie traf ihn nur noch dann, wenn es sich nicht umgehen ließ. Ihrer Meinung nach wurde er seinem Vater immer ähnlicher: mürrisch, reizbar und ungeduldig. Er wusste, dass sie recht hatte. Er wollte nicht werden wie sein Vater, alles, nur das nicht. Kein verbitterteralter Mann, der sich ständig wiederholte, sei es auf den Bildern, die er auf seiner Staffelei malte, sei es in seinen Ansichten über eine Welt, die ihm immer unbegreiflicher wurde. Es war eine Zeit, in der Wallander in seinem Haus herumlief wie in einem Käfig; ein eingeschlossener Bär, der sich nicht mehr gegen die Einsicht wehren konnte, dass er jetzt sechzig war und damit unaufhaltsam dem Alter entgegenging. Vielleicht würde er noch zehn oder zwanzig Jahre leben, aber er würde nichts anderes mehr erleben, als dass das Alter sich um ihn herabsenkte. Die Jugend war eine ferne Erinnerung, die mittleren Jahre waren vorbei. Er wartete in den Kulissen, um die Bühne für den dritten und letzten Akt zu betreten, in dem alles seine Erklärung finden sollte, in dem Helden hervortreten und Schurken sterben würden.
Am meisten Sorgen machte ihm seine Vergesslichkeit. Er schrieb Besorgungszettel, wenn er zum Einkaufen nach Simrishamn oder Ystad fuhr, aber wenn er im Laden stand, stellte er fest, dass er den Zettel vergessen hatte. Hatte er überhaupt einen geschrieben? Er erinnerte sich nicht. Eines Tages, als ihn sein schlechtes Gedächtnis mehr als sonst beunruhigte, ließ er sich einen Termin bei einer Ärztin geben, die sich auf »Altersbeschwerden« spezialisiert hatte. Sein Handgelenk war noch eingegipst, außerdem hatte er eine schwere Erkältung. Die Ärztin hieß Margareta Bengtsson und hatte ihre Praxis in einem alten Haus im Zentrum von Malmö. Wallander hielt sie für viel zu jung, um etwas vom Elend des Alters zu verstehen. Er war versucht, in der Tür wieder umzudrehen, folgte ihr aber doch fügsam ins Sprechzimmer, setzte sich in einen schwarzen Ledersessel und erzählte von seinem schlechten Gedächtnis.
»Habe ich Alzheimer?«, fragte er, als sein Besuch der Sprechstunde sich dem Ende näherte.
Margareta Bengtsson lächelte, nicht herablassend, sondern ganz natürlich freundlich. »Nein«, sagte sie. »Dasglaube ich nicht. Aber wer weiß schon, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet.«
Hinter der nächsten Ecke, dachte Wallander, als er durch den beißend kalten Wind zu seinem Wagen ging, den er gleich um die Ecke geparkt hatte. Dort erwartete ihn ein Strafzettel unter dem Scheibenwischer; Wallander warf ihn in den Wagen, ohne auf die Höhe des Bußgeldes zu schauen, und fuhr nach Hause.
Vor seinem Haus stand ein Auto, das er nicht kannte. Als Wallander ausstieg, sah er, dass es Martinsson war, der beim Hundezwinger stand und Jussi durch die Gitterstäbe hindurch streichelte.
»Ich wollte gerade wieder fahren«, sagte Martinsson. »Ich habe einen Zettel an deine Tür gesteckt.«
»Hat man dich als Kurier geschickt?«
»Ich bin ganz von selbst gekommen, um zu hören, wie es dir geht.«
Sie gingen ins Haus. Martinsson las die Titel auf den Buchrücken in Wallanders Bibliothek, die im Lauf der Jahre sehr umfangreich geworden war. Sie setzten sich an den Küchentisch und tranken Kaffee. Wallander sagte nichts über seine Fahrt nach Malmö und den Arztbesuch. Martinsson nickte in Richtung seiner gegipsten Hand.
»In der nächsten Woche kommt der Gips runter«, sagte Wallander. »Was verlautet in der Gerüchteküche?«
»Über die Hand?«
»Über mich. Die Pistole im Restaurant.«
»Lennart Mattson ist ein ungewöhnlich verschwiegener Mann. Ich weiß nichts über das, was läuft. Aber du sollst wissen, dass wir zu dir halten.«
»Das stimmt nicht. Du tust es vielleicht. Aber
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