Wallander 09 - Der Feind im Schatten
versunken, wie er im Fall der schweren Körperverletzung an Bord der Fähre den richtigen Mann zu fassen bekäme. Es waren mit anderen Worten zwei erschöpfte und ziemlich übel gelaunte Polizisten, die an diesem Tag miteinander telefonierten. Wallander fragte, ob die Sicherheitspolizei sich weiterhin für den Fall des Verschwundenen interessiere.
»Manchmal kommt ein Mann namens William zu mir«, sagte Ytterberg. »Ich weiß nicht mal, ob das sein Vor- oder Nachname ist. Ich kann auch nicht behaupten, dass es mich besonders interessiert. Als er zuletzt hier war, hätte ich ihn am liebsten erwürgt. Ich fragte, ob sie irgendetwas hätten, was uns ein bisschen weiterhelfen könnte. Ein bisschen normale Amtshilfe, die ja der Dreh- und Angelpunkt in dem demokratisch aufgebauten Land sein soll, das Schweden heißt. Eine klitzekleine Vermutung, was geschehen sein könnte. Aber damit konnte er natürlich nicht dienen. Zumindest sagte er das. Ob es stimmt, kann man nicht wissen. Ihreberufliche Existenz baut ja darauf auf, ein Spiel zu spielen, in dem Lüge und Betrug die effektivsten Instrumente sind. Dass wir als gewöhnliche Polizisten auch mal falschspielen, gehört sozusagen dazu, ist aber doch nicht unser existentieller Ausgangspunkt.«
Nach dem Gespräch wandte sich Wallander wieder der aufgeschlagenen Mappe mit Verhörprotokollen zu. Neben der Mappe lag eine Fotografie des schwer misshandelten Gesichts der Frau. Deswegen mache ich das hier, dachte er. Weil jemand sie fast totgeschlagen hätte.
Als Wallander am Nachmittag nach Hause kam, war Jussi krank. Er lag in seiner Hütte, wollte weder fressen noch trinken, und Wallander brach sofort der kalte Angstschweiß aus. Er rief einen Tierarzt an, der ihm einmal geholfen hatte, einen Mann zu finden, der bestialische Attentate auf Fohlen in den Koppeln um Ystad herum verübte. Der Arzt wohnte in Kåseberga und kam nach kurzer Zeit. Nach der Untersuchung glaubte er sicher zu sein, dass Jussi nur etwas Falsches gefressen hatte und bald wieder gesund sein würde. In dieser Nacht lag Jussi auf einem Teppich vor dem Kamin, und Wallander sah immer wieder nach ihm. Am Morgen stand der Hund wieder auf, wenn auch auf etwas zittrigen Beinen.
Wallander war sehr erleichtert. Als er ins Büro kam und seinen Computer einschaltete, fiel ihm auf, dass es fünf Tage her war, seit er zuletzt etwas von Atkins gehört hatte. Vielleicht gab es nichts mehr zu erzählen, keine Fotos mehr zu schicken. Aber kurz vor zwölf, gerade als er überlegte, ob er nach Hause fahren und sich ein Mittagessen machen oder irgendwo in der Stadt essen sollte, wurde er von der Anmeldung angerufen. Er habe Besuch.
»Wer ist es?«, fragte Wallander. »Und worum geht es?«
»Es ist ein Ausländer«, sagte die Frau in der Anmeldung. »Er scheint Polizeibeamter zu sein.«
Wallander ging zur Anmeldung. Er wusste sofort, werder Besucher war. Er trug keine Polizeiuniform, sondern eine amerikanische Marineuniform. Steven Atkins stand vor ihm, die Uniformmütze unter dem Arm.
»Ich hatte nicht die Absicht, unangemeldet zu erscheinen«, sagte Atkins. »Leider habe ich mich mit der Ankunftszeit in Kopenhagen geirrt. Ich habe zu Hause bei Ihnen und auf Ihrem Mobiltelefon angerufen, aber niemanden erreicht. Deshalb bin ich hierhergefahren.«
»Ich bin tatsächlich überrascht«, sagte Wallander. »Aber Sie sind natürlich willkommen. Wenn ich richtig verstanden habe, besuchen Sie Schweden zum ersten Mal?«
»Ja. Obwohl Håkan, mein verschwundener Freund Håkan, mich ständig eingeladen hat, ist nie etwas daraus geworden.«
Sie aßen in dem Restaurant zu Mittag, das Wallander für das beste hielt. Atkins war ein freundlicher Mann, der sich neugierig umsah, nicht nur aus Höflichkeit Fragen stellte und sich aufmerksam die Antworten anhörte. Wallander fiel es anfangs schwer, sich Atkins als U-Boot-Kommandanten vorzustellen, zumal auf einem von der schwersten Klasse atombetriebener amerikanischer Unterseeboote. Er wirkte viel zu jovial. Aber natürlich fehlten Wallander die Voraussetzungen für eine solche Beurteilung.
Allein die Sorge um seinen Freund hatte Atkins nach Schweden getrieben, und Wallander war gerührt. Ein alter Mann, der einen anderen alten Mann vermisste. Eine Freundschaft, die sehr tief reichte.
Atkins hatte am Flugplatz Kastrup ein Zimmer im Hilton genommen, dann einen Wagen gemietet, um nach Ystad zu fahren. »Ich musste natürlich die lange Brücke erleben«, sagte er und lachte.
Wallander
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