Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Hamngata.
Zwanzig Minuten vor zehn stand er neben Nyberg und betrachtete den Safe, der von einem einsamen Scheinwerfer beleuchtet wurde.
Ungefähr zur selben Zeit begann die Temperatur zu fallen, und ein böiger Wind aus Osten setzte ein.
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Kurz nach Mitternacht am 15. Dezember war es Nyberg und seinen Männern gelungen, den Safe mit Hilfe eines Krans zu heben. Er wurde auf der Ladefläche eines Lastwagens abgesetzt und sofort zum Polizeipräsidium gefahren. Aber bevor Nyberg und Wallander den Ort verließen, untersuchte Nyberg den Hohlraum im Fundament des Hauses.
»Er ist nicht so alt wie das Haus«, sagte er. »Ich kann es mir nur so erklären, daß er nachträglich wegen dieses Safes eingebaut wurde.«
Wallander nickte, schwieg aber. Er dachte an die Schwestern Eberhardsson. An das fehlende Tatmotiv. Jetzt hatten sie es vielleicht gefunden, obwohl sie noch nicht wußten, was der Safe enthielt.
Aber jemand anders kann es gewußt haben, dachte Wallander. Nicht nur, daß der Safe existierte, sondern auch, was sich in ihm befand.
Sie verließen die Brandstelle und traten auf die Straße.
»Kann man den Safe aufschneiden?« fragte Wallander.
»Ja, natürlich«, antwortete Nyberg. »Aber dafür braucht man ein Spezialschweißgerät. Das hier ist ein Safe, an den ein gewöhnlicher Safeknacker sich nicht im Traum herantrauen würde.«
»Wir müssen ihn so schnell wie möglich öffnen.«
Nyberg schälte sich aus dem Overall. Er betrachtete Wallander ungläubig.
»Meinst du, daß der Safe heute nacht geöffnet werden soll?«
»Am liebsten«, sagte Wallander. »Es geht um einen Doppelmord.«
»Das schaffen wir nicht«, sagte Nyberg. »Ich kann erst morgen die Leute mit den Spezialschweißgeräten erreichen.«
»Sind sie hier in Ystad?«
Nyberg dachte nach. »Es gibt einen Betrieb, der das Militär beliefert«, sagte er. »Die haben sicher brauchbare Schweißgeräte. Ich glaube, er heißt Fabricius. In der Industrigata.«
Wallander sah, wie müde Nyberg war. Es wäre Wahnsinn, ihn |326| jetzt nicht nach Hause zu schicken. Auch er selbst sollte nicht bis zur Morgendämmerung weitermachen.
»Morgen früh um sieben«, sagte Wallander.
Nyberg nickte.
Wallander sah sich nach seinem Wagen um. Dann fiel ihm ein, daß er nicht angesprungen war. Nyberg hätte ihn nach Hause fahren können. Aber er zog es vor, zu laufen. Der Wind war kalt. Vor einem Schaufenster in der Stora Östergata hing ein Thermometer. Minus sechs Grad. Der Winter kommt angeschlichen, dachte Wallander. Bald ist er da.
Eine Minute vor sieben am Morgen des 15. Dezember trat Nyberg in Wallanders Zimmer. Wallander hatte das Telefonbuch aufgeschlagen vor sich. Er hatte sich den Safe schon angesehen, der in einem Zimmer neben der Anmeldung stand, das vorübergehend leer war. Einer der Polizisten, deren Nachtdienst gerade zu Ende ging, hatte erzählt, daß sie einen Gabelstapler gebraucht hatten, um den Safe hineinzubekommen. Wallander nickte. Er hatte die Spuren vor der Glastür bemerkt und gesehen, daß eine der Türangeln verbogen war. Darüber wird Björk nicht froh sein, dachte er. Aber er wird es leider ertragen müssen. Wallander versuchte erfolglos, den Safe von der Stelle zu rücken. Er fragte sich, was darin sein mochte. Oder ob er leer war.
Nyberg rief den Betrieb in der Industrigata an. Wallander holte Kaffee. Gleichzeitig kam Rydberg. Wallander erzählte von dem Safe.
»Wie ich vermutet habe«, sagte Rydberg. »Wir wissen sehr wenig von diesen Schwestern.«
»Wir sind dabei, ein Schweißgerät zu besorgen, um den Safe zu knacken«, sagte Wallander.
»Ich hoffe, du sagst Bescheid, bevor ihr das Wunderwerk aufmacht«, sagte Rydberg. »Das wird spannend.«
Wallander kehrte in sein Zimmer zurück. Er hatte den Eindruck, daß Rydberg heute weniger Schmerzen hatte.
Nyberg beendete gerade sein Gespräch, als Wallander mit den Kaffeebechern kam.
»Ich habe eben mit Ruben Fabricius gesprochen«, sagte er. »Er |327| meint, sie würden den Safe wohl schaffen. Sie sind in einer halben Stunde hier.«
»Gib mir Bescheid, wenn sie kommen«, sagte Wallander.
Nyberg verließ den Raum. Wallander dachte an seinen Vater in Kairo. Hoffte, daß seine Erlebnisse den Erwartungen entsprachen. Er betrachtete den Zettel mit der Telefonnummer des Hotels, Mena House, und überlegte, ob er anrufen sollte. Aber plötzlich war er unsicher, mit welcher Zeitverschiebung er zu rechnen hatte und ob es überhaupt eine gab. Er ließ den Gedanken
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