Wallander 10 - Wallanders erster Fall
die Hand und hatte plötzlich Paß- und Zollkontrolle hinter sich. Ein Haufen Taxifahrer wollte ihn an jeden Ort auf der Welt fahren. Aber Wallander war geistesgegenwärtig genug, um sich nach einem Minibus umzusehen, an dem das Mena House als Fahrtziel angegeben war, anscheinend ein ziemlich großes Hotel. Er hatte nicht weiter geplant, als daß er vom selben Hotel aus vorgehen wollte, in dem auch sein Vater wohnte. Eingeklemmt inmitten einer Gruppe lautstarker Amerikanerinnen, fuhr er mit dem Minibus durch die Stadt ins Hotel. Er spürte die warme Nachtluft im Gesicht, merkte plötzlich, daß sie einen Fluß überquerten, möglicherweise den Nil, und dann waren sie am Ziel.
Als er aus dem Bus stieg, war er wieder nüchtern. Von diesem Moment an hatte er nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte. Ein schwedischer Polizist in Ägypten kann sich ganz schön klein vorkommen, dachte er düster, als er die prächtige Eingangshalle des Hotels betrat. Er ging an die Rezeption, wo ihn ein junger Mann in untadeligem Englisch fragte, ob er ihm behilflich sein könne. Wallander erklärte wahrheitsgemäß, daß er kein Zimmer bestellt habe. Der junge Mann sah einen Augenblick lang besorgt aus und schüttelte den Kopf. Aber dann fand er doch noch ein freies Zimmer.
»Ich glaube, Sie haben schon einen Gast mit dem Namen Wallander.«
Der Mann suchte auf seinem Bildschirm in der Gästeliste und nickte dann.
»Das ist mein Vater«, sagte Wallander und stöhnte innerlich über seine schlechte englische Aussprache.
»Ich kann Ihnen leider kein Zimmer neben seinem geben«, sagte der junge Mann. »Wir haben nur noch einfachere Zimmer. Ohne Aussicht auf die Pyramiden.«
»Das paßt mir ausgezeichnet«, sagte Wallander, der nicht mehr als nötig an die Pyramiden erinnert werden wollte.
Er schrieb sich ein, bekam einen Schlüssel und eine kleine Karte und suchte sich durch das Labyrinth des Hotels seinen Weg. Er merkte, daß hier im Laufe der Jahre viel angebaut worden war. Er |350| fand sein Zimmer und setzte sich auf das Bett. In dem klimatisierten Raum war es angenehm kühl. Er zog sein Hemd aus, das von Schweiß durchnäßt war.
Im Badezimmer betrachtete er sein Gesicht im Spiegel. »Jetzt bin ich hier«, sagte er laut zu sich selbst. »Es ist spät. Ich sollte etwas essen. Und schlafen. Vor allem schlafen. Aber das kann ich nicht, weil mein wahnsinniger Vater irgendwo hier in der Stadt auf einer Polizeiwache sitzt.«
Er wechselte das Hemd, putzte sich die Zähne und ging zur Rezeption zurück. Der junge Mann, der ihm das Zimmer gegeben hatte, war nicht zu sehen. Er näherte sich einem älteren Mann, der unbeweglich dastand und das gesamte Geschehen zu überwachen schien. Er lächelte, als Wallander vor ihm auftauchte.
»Ich bin hierhergekommen, weil mein Vater in Schwierigkeiten geraten ist«, sagte er. »Er heißt Wallander und ist vor ein paar Tagen angekommen.«
»Welche Art von Schwierigkeiten?« fragte der Mann. »Ist er krank geworden?«
»Er scheint versucht zu haben, auf eine der Pyramiden zu klettern«, antwortete Wallander. »Wie ich ihn kenne, hat er sich sicher die höchste ausgesucht.«
Der Portier nickte langsam. »Ich habe davon gehört«, sagte er. »Sehr bedauerlich. Der Polizei und dem Ministerium für Tourismus hat das überhaupt nicht gefallen.«
Er verschwand durch eine Tür und kam sofort in Begleitung eines anderen, ebenfalls älteren Mannes zurück. Sie sprachen einen Moment sehr schnell miteinander. Dann wandten sie sich Wallander zu.
»Sind Sie der Sohn des alten Mannes?« fragte der eine.
Wallander nickte. »Nicht nur das«, sagte Wallander. »Ich bin außerdem noch Polizist.«
Er zeigte ihnen seinen Ausweis, auf dem deutlich »Polizei« stand.
Aber die beiden Männer schienen nicht zu verstehen. »Sie sind also nicht sein Sohn, sondern ein schwedischer Polizist?«
»Ich bin beides«, antwortete Wallander.
»Sowohl
sein Sohn
als auch
Polizist.«
|351| Sie dachten einen Augenblick darüber nach. Ein paar weitere Portiers, die zufällig nicht beschäftigt waren, hatten sich dazugesellt. Das ratternde, unverständliche Gespräch begann von neuem. Wallander spürte, daß er wieder durchgeschwitzt war.
Dann baten sie ihn zu warten. Sie zeigten auf eine Sitzgruppe im Foyer. Wallander setzte sich. Eine verschleierte Frau ging vorbei. Scheherazade, dachte Wallander. Sie hätte mir helfen können. Oder Aladin. Aus der Abteilung könnte ich jemanden gebrauchen. Er wartete. Es verging eine
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