Wallander 10 - Wallanders erster Fall
hat sich Cognac von mir gewünscht, wir essen etwas, spielen Karten, gähnen und stoßen um Mitternacht an. Dann fahre ich nach Hause.«
|395| »Ich versuche meistens, nicht wach zu bleiben«, sagte Rydberg. »Silvester ist für mich ein Alptraum. Eines der wenigen Male im Jahr, wo ich eine Schlaftablette nehme.«
Wallander sollte Rydberg fragen, wie es ihm ging. Aber er beschloß, es sein zu lassen.
Sie schüttelten sich die Hand, wie um sich zu versichern, daß es ein besonderer Tag war. Dann ging Wallander in sein Zimmer, legte einen Kalender für 1990 heraus und räumte seine Schubladen auf. Silvester war dazu da, sich von alten Papieren zu befreien.
Wallander war erstaunt, was er alles fand. In einer Schublade war eine Kleisterflasche ausgelaufen. Er holte ein Messer aus dem Eßraum und fing an zu kratzen. Vom Korridor konnte er einen erregten Besoffenen hören, der mitteilte, daß er absolut keine Zeit habe, auf der Polizeiwache zu sein, weil er auf eine Party müsse. Es fängt ja gut an, dachte Wallander und ging mit dem Messer in den Eßraum zurück. Die Kleisterflasche warf er in den Abfall.
Um sieben Uhr fuhr er nach Hause, duschte und zog sich um. Kurz nach acht kam er in Löderup an. Auf dem Weg hatte er mehr unbewußt weiter nach dem Gedanken gesucht, der ihn beunruhigte, allerdings erfolglos. Sein Vater hatte ein überraschend gutes Fischgratin gemacht. Wallander hatte schnell noch Cognac eingekauft, und der Vater nickte erfreut, als er sah, daß es »Hennessy« war. Der Champagner wurde in den Kühlschrank gelegt. Zum Essen tranken sie Bier. Der Vater hatte sich zur Feier des Abends seinen alten Anzug angezogen und trug außerdem einen Schlips, der auf eine Weise gebunden war, wie es Wallander noch nie gesehen hatte.
Um kurz nach neun begannen sie, Poker zu spielen. Wallander bekam zweimal einen Dreier, warf aber beide Male eine der Karten ab, damit sein Vater gewinnen konnte. Gegen elf Uhr ging Wallander auf den Hof, um zu pinkeln. Es war klar geworden und viel kälter. Der Sternenhimmel funkelte. Wallander dachte an die Pyramiden. Von den starken Scheinwerfern angestrahlt, hatten sie den ägyptischen Sternenhimmel fast verschwinden lassen. Er ging wieder ins Haus. Der Vater hatte mehrere Glas Cognac getrunken und wurde langsam betrunken. Wallander nippte nur daran, weil er nachts nach Hause fahren wollte. Obwohl er wußte, wo die Verkehrskontrollen |396| sein würden, gehörte es sich nicht, mit Alkohol im Blut zu fahren. Schon gar nicht Silvester. Ab und zu war es doch vorgekommen, und jedesmal hatte Wallander sich gesagt, daß dies das letztemal wäre.
Gegen halb zwölf rief Linda an. Sie sprachen nacheinander mit ihr. Im Hintergrund konnte Wallander eine sehr laut gestellte Musikanlage hören. Sie mußten einander zurufen.
»Du hättest es hier besser gehabt«, rief Wallander.
»Woher willst du das wissen?« rief sie zurück, aber es klang nicht unfreundlich.
Sie wünschten sich ein frohes neues Jahr. Der Vater genehmigte sich noch ein paar Glas Cognac. Mittlerweile kleckerte er, wenn er sich einschenken wollte. Aber er war in guter Stimmung. Und das war für Wallander das wichtigste.
Um zwölf Uhr saßen sie vor dem Fernseher und sahen zu, wie der Schauspieler Jarl Kulle mit einem Gedicht das neue Jahr einlas. Wallander schielte zu seinem Vater hinüber, der tatsächlich Tränen in den Augen hatte. Er selbst war überhaupt nicht ergriffen, nur müde. Mit Widerwillen dachte er daran, daß er am nächsten Tag Emma Lundin treffen sollte. Es war, als habe er ein falsches Spiel mit ihr getrieben. Wenn er an diesem Abend einen Neujahrsvorsatz fassen sollte, dann müßte es der sein, ihr so schnell wie möglich die Wahrheit zu sagen und die Beziehung mit ihr zu beenden.
Aber er faßte keinen Vorsatz.
Um kurz vor eins fuhr er nach Hause. Zuvor hatte er seinem Vater ins Bett geholfen. Er hatte ihm die Schuhe ausgezogen und eine Decke über ihn gebreitet.
»Bald fahren wir nach Italien«, sagte der Vater.
Wallander räumte die Küche auf. Das Schnarchen seines Vaters rollte schon durch das Haus.
Am Neujahrsmorgen wachte Wallander mit Hals- und Kopfschmerzen auf. Das sagte er auch Emma Lundin, als sie gegen zwölf Uhr kam. Da sie Krankenschwester war und Wallander nicht nur blaß aussah, sondern sich auch heiß anfühlte, zweifelte sie nicht daran, daß es stimmte. Sie schaute ihm auch in den Hals. »Dreitageerkältung«, sagte sie. »Bleib zu Hause.«
|397| Sie kochte Tee, den sie im
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