Wallander 10 - Wallanders erster Fall
diese Mappen sogar mit, wenn ich in Urlaub fahre. Drei Mordfälle. Ein neunzehnjähriges Mädchen, 1963. Ann-Luise Franzén. Sie lag erdrosselt hinter Büschen an der nördlichen Ausfahrt. Leonard Johansson. Auch 1963. Erst siebzehn Jahre alt. Ihm hat jemand mit einem Stein den Kopf zerschmettert. Wir haben ihn am Strand südlich der Stadt gefunden.«
»An den erinnere ich mich«, sagte Wallander. »Hat man nicht vermutet, daß es einen Streit um ein Mädchen gegeben hatte, der außer Kontrolle geraten war?«
»Es gab einen Streit um ein Mädchen«, bestätigte Hemberg. »Wir haben den Rivalen über mehrere Jahre hinweg immer wieder |54| verhört, aber wir konnten ihm nichts nachweisen. Und ich glaube auch nicht, daß er es war.«
Hemberg wies auf die unterste Mappe. »Noch ein Mädchen. Lena Moscho. Zwanzig Jahre. 1959. Im gleichen Jahr, in dem ich hier nach Malmö kam. Sie ist mit abgeschlagenen Händen neben der Straße nach Svedala vergraben worden. Ein Hund hat sie aufgestöbert. Sie ist vergewaltigt worden. Sie wohnte mit ihren Eltern bei Jägersro. Ein anständiges Mädchen, Medizinstudentin. Ausgerechnet. Es war im April. Sie wollte eine Zeitung kaufen und ist nie zurückgekommen. Sie wurde erst nach fünf Monaten gefunden.«
Hemberg schüttelte den Kopf. »Du wirst sehen, zu welchem Typ du gehörst«, sagte er und schloß den Schrank. »Zu denen, die vergessen, oder zu denen, die es nicht tun.«
»Ich weiß noch nicht einmal, ob ich geeignet bin«, sagte Wallander.
»Du willst auf jeden Fall zu uns«, erwiderte Hemberg. »Und das ist ein guter Anfang.«
Hemberg zog sein Jackett an. Wallander sah auf seiner Uhr, daß es fünf vor sieben war. »Ich muß jetzt gehen«, sagte er.
»Ich kann dich nach Hause fahren«, bot Hemberg an. »Wenn du es nicht zu eilig hast.«
»Ich habe es aber ein bißchen eilig«, sagte Wallander.
Hemberg zuckte mit den Schultern. »Jetzt weißt du jedenfalls, was Hålén im Magen hatte.«
Wallander hatte Glück und erwischte direkt vor dem Polizeipräsidium ein Taxi. Als er nach Rosengård kam, war es neun Minuten nach sieben. Er hoffte, daß Mona sich verspätet hatte. Aber als er den Zettel las, den er an seine Wohnungstür geheftet hatte, erkannte er, daß das ein Irrtum war.
Soll das so weitergehen?
stand da. Wallander nahm den Zettel ab. Die Heftzwecke kullerte die Treppe hinunter. Er machte sich nicht die Mühe, danach zu suchen. Bestenfalls würde sie in Linnea Almqvists Schuhen steckenbleiben.
Soll das so weitergehen?
Wallander konnte Monas Ungeduld sehr gut verstehen. Sie hatte andere Erwartungen an ihr Berufsleben als er. Der Traum von einem eigenen Frisiersalon würde für sie noch lange nicht in Erfüllung gehen.
|55| Er ging in die Wohnung und setzte sich aufs Sofa. Er fühlte sich schuldig. Er sollte Mona mehr Zeit widmen. Nicht nur hoffen, daß sie jedesmal, wenn er zu spät kam, geduldig auf ihn wartete. Sie jetzt anzurufen wäre sinnlos. Im Moment saß sie bestimmt in dem geliehenen Auto und war auf dem Weg nach Helsingborg.
Auf einmal überkam ihn das beunruhigende Gefühl, daß eigentlich alles falsch war. Hatte er sich wirklich klargemacht, was es bedeuten würde, mit Mona zusammenzuleben? Mit ihr Kinder zu haben?
Wir werden in Skagen miteinander reden, dachte er. Da haben wir Zeit. An einem Sandstrand kann man nicht zu spät kommen.
Er schaute auf die Uhr. Halb acht. Er schaltete den Fernseher ein. Wieder war irgendwo ein Flugzeug abgestürzt. Oder war ein Zug entgleist? Er ging in die Küche und hörte nur zerstreut auf die Nachrichten. Suchte vergebens nach einem Bier. Im Kühlschrank fand er eine angebrochene Limonadenflasche. Die Lust auf etwas Stärkeres nahm zu. Der Gedanke, noch einmal in die Stadt zu fahren und sich in irgendeine Bar zu setzen, war verlockend. Aber er verwarf ihn, weil er zu knapp bei Kasse war. Obwohl erst Monatsanfang war.
Statt dessen machte er sich Kaffee und dachte über Hemberg nach. Hemberg und seine ungelösten Fälle. Würde es ihm ebenso ergehen? Oder könnte er sich daran gewöhnen abzuschalten, wenn er nach Feierabend nach Hause ging? Um Monas willen werde ich dazu gezwungen sein, dachte er. Wenn nicht, dreht sie durch.
Sein Schlüsselbund schlug gegen den Stuhl. Er nahm es aus der Tasche und legte es ganz in Gedanken auf den Tisch. Dann tauchte etwas in seinem Kopf auf. Etwas, was mit Hålén zu tun hatte.
Das Extraschloß, das Hålén vor kurzer Zeit hatte einbauen lassen. Wie sollte man das
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