Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Alternative, an die wir nicht gedacht haben. Sjunnesson hingegen hat sich nicht geirrt. In Håléns Wohnung war nichts. Nicht mehr. Aber es ist etwas da gewesen.«
Wallander verstand nicht, was Hemberg meinte.
»Ich gebe zu, daß ich auch darauf hereingefallen bin«, sagte Hemberg. »Aber das, was in der Wohnung gewesen ist, hatte Hålén bereits mitgenommen.«
»Aber er war doch tot!«
Hemberg nickte. »Der Gerichtsmediziner hat vorhin angerufen«, sagte er. »Die Obduktion ist abgeschlossen. Und er hat etwas sehr Interessantes in Håléns Magen gefunden.«
Hemberg nahm die Füße vom Tisch. Dann holte er aus einer seiner Schubladen ein zusammengefaltetes kleines Stück Tuch heraus und wickelte es vorsichtig vor Wallander auf.
Es kamen Steine zum Vorschein. Edelsteine. Was für welche, konnte Wallander nicht sagen.
»Kurz bevor du gekommen bist, war ein Juwelier hier«, sagte Hemberg. »Er hat eine vorläufige Schätzung vorgenommen. Es sind Diamanten. Vermutlich aus Südafrika. Er meinte, sie wären ein kleines Vermögen wert. Und das hatte Hålén also verschluckt.« »Hatte er die Steine im Magen?«
Hemberg nickte.
|52| »Kein Wunder, daß wir sie nicht gefunden haben. Aber warum hat er sie verschluckt? Und wann hat er es getan?«
»Die letzte Frage ist vielleicht die wichtigere. Der Gerichtsmediziner meinte, er habe sie nur ein paar Stunden vor seinem Tod geschluckt. Bevor der Magen und die Därme aufgehört haben zu funktionieren. Worauf läßt das deiner Meinung nach schließen?«
»Daß er Angst hatte.«
»Richtig.« Hemberg schob das Tuch mit den Diamanten zur Seite und legte die Füße wieder auf den Tisch. Wallander roch, daß er Schweißfüße hatte.
»Faß das mal für mich zusammen«, sagte Hemberg.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Versuch es.«
»Hålén schluckte die Diamanten, weil er Angst davor hatte, daß jemand sie stehlen würde. Dann erschoß er sich. Die Person, die in der Nacht darauf in der Wohnung war, hat danach gesucht. Aber den Brand kann ich nicht erklären.«
»Kann man es nicht auch anders sehen?« schlug Hemberg vor. »Wenn du eine kleine Änderung von Håléns Motiv vornimmst, wohin kommst du dann?«
Wallander verstand plötzlich, worauf Hemberg hinauswollte.
»Vielleicht hatte er keine Angst«, sagte er. »Vielleicht hatte er nur beschlossen, sich nie von seinen Diamanten zu trennen.«
Hemberg nickte. »Man kann noch eine Schlußfolgerung ziehen: Jemand wußte, daß Hålén diese Diamanten hatte.«
»Und daß Hålén wußte, daß der andere es wußte.«
Hemberg nickte anerkennend. »Du machst dich«, sagte er. »Auch wenn es ziemlich langsam geht.«
»Trotzdem erklärt das nicht den Brand.«
»Man muß sich immer fragen, was wichtiger ist«, sagte Hemberg. »Wo ist das Zentrum? Wo ist der eigentliche Kern? Der Brand kann ein Ablenkungsmanöver sein. Oder die Tat eines Menschen, der wütend geworden ist.«
»Und wer soll das sein?«
Hemberg zuckte mit den Schultern. »Das werden wir wohl kaum erfahren. Hålén ist tot. Wie er zu den Diamanten gekommen |53| ist, wissen wir nicht. Wenn ich damit zum Staatsanwalt gehe, lacht er mich aus.«
»Und was geschieht nun mit den Diamanten?«
»Die fallen der Staatskasse zu. Und wir können unsere Papiere abstempeln und den Bericht über Håléns Tod so tief vergraben, wie es nur möglich ist.«
»Bedeutet das, daß der Brand nicht untersucht wird?« fragte Wallander.
»Zumindest nicht besonders gründlich«, antwortete Hemberg. »Es gibt ja auch keinen Grund dafür.«
Hemberg war aufgestanden und zu einem Schrank an einer der Wände getreten. Er holte einen Schlüssel aus der Tasche und schloß auf. Dann nickte er Wallander zu, zu ihm zu kommen. Er zeigte auf ein paar Mappen, die dort, mit einem Band umwickelt, für sich lagen.
»Dies sind meine ständigen Begleiter«, sagte Hemberg. »Drei Mordfälle, die noch nicht aufgeklärt und auch noch nicht verjährt sind. Es sind eigentlich nicht meine Fälle. Wir gehen die Akten einmal im Jahr durch. Oder wenn neues Material auftaucht. Dies hier sind keine Originale, sondern Kopien. Es kommt manchmal vor, daß ich sie durchblättere. Es kommt sogar vor, daß ich von ihnen träume. Den meisten Polizisten geht es nicht so. Die tun ihren Job, und wenn sie nach Hause gehen, dann vergessen sie alles, womit sie sich beschäftigt haben. Aber dann gibt es noch einen anderen Typ, solche wie mich. Die das, was noch nicht aufgeklärt ist, nicht loslassen können. Ich nehme
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