Wallander 10 - Wallanders erster Fall
daß sich ein Einbrecher deswegen die Mühe macht.«
»Was bleibt dann? Irgendein privates Motiv?«
»Ich weiß es nicht. Die Witwe, Elisabeth Lamberg, war Svedberg zufolge ziemlich sicher, daß er keine Feinde hatte.«
»Aber es deutet doch ebenfalls nichts auf einen Geistesgestörten hin.«
Wallander schüttelte den Kopf.
»Es deutet auf alles und nichts hin«, sagte er. »Aber drei Überlegungen kann man jetzt schon anstellen. Erstens, wie kam der Täter ins Atelier? Die Tür und die Fenster weisen keine Spuren von Gewaltanwendung auf. Dabei hat Lamberg die Tür sicherlich nicht unverschlossen gelassen. Elisabeth Lamberg zufolge war er immer sehr darauf bedacht, hinter sich abzuschließen.«
»Das läßt uns also zwei Möglichkeiten. Entweder der Täter hatte einen Schlüssel, oder Simon Lamberg hat ihn hereingelassen.«
Wallander nickte. Björk hatte verstanden. Er fuhr fort.
»Die zweite Beobachtung ist, daß der Schlag, der Lamberg tötete, mit großer Kraft gegen seinen Hinterkopf geführt wurde. Das kann auf Zielgerichtetheit hindeuten. Oder Raserei. Oder enorme Körperkraft. Oder beides in Kombination. Simon Lamberg hat im Augenblick seines Todes dem Mörder den Rücken zugekehrt. Das kann einerseits bedeuten, daß er nichts Böses erwartet hat. Oder anderseits, daß er versucht hat zu fliehen.«
»Wenn er selbst seinen Mörder hereingelassen hat, würde das auch erklären, warum er ihm den Rücken zugewandt hat.«
»Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen«, sagte Wallander. |207| »Würde er überhaupt jemanden so spät am Abend hereinlassen, zu dem er kein gutes Verhältnis hatte?«
»Und weiter?«
»Der Putzfrau zufolge pflegte Lamberg an zwei Abenden in der Woche ins Atelier zu gehen. Nicht immer an denselben Tagen, aber man kann davon ausgehen, daß der Täter darüber Bescheid wußte. Wir müßten also nach jemandem suchen, der zumindest teilweise mit Lambergs Gewohnheiten vertraut war.«
Sie verließen das Sitzungszimmer und blieben im Korridor stehen.
»Das bedeutet zumindest, daß es mehrere denkbare Ausgangspunkte gibt«, sagte Björk. »Ihr steht nicht mit völlig leeren Händen da.«
Wallander verzog das Gesicht. »Aber fast«, meinte er. »Noch weniger ist auch kaum vorstellbar. Rydberg fehlt uns jetzt.«
»Ich mache mir Sorgen wegen seiner Rückenprobleme«, sagte Björk. »Manchmal habe ich das Gefühl, daß es noch etwas anderes ist.«
Wallander betrachtete ihn verwundert. »Was sollte das sein?«
»Vielleicht hat er eine andere Krankheit. Rückenschmerzen können auch von etwas anderem ausgehen als von Muskeln oder Wirbeln.«
Wallander wußte, daß Björk einen Schwager hatte, der Arzt war. Und weil Björk hin und wieder der Meinung war, unter diversen schweren Krankheiten zu leiden, ging Wallander davon aus, daß er seine eigenen Sorgen jetzt auf Rydberg übertrug.
»Rydberg ist nach einer Woche immer wieder in Ordnung«, sagte er.
Sie gingen auseinander. Wallander kehrte in sein Zimmer zurück. Die Nachricht von dem Mord hatte sich mittlerweile herumgesprochen, und Ebba teilte ihnen mit, daß mehrere Journalisten angerufen hatten und wissen wollten, ob es irgendwelche Informationen gebe. Ohne sich mit jemandem zu beratschlagen, gab Wallander ihr Bescheid, daß er um drei Uhr bereit sei, Fragen zu beantworten.
Danach verwandte er eine Stunde darauf, für sich selbst eine Zusammenfassung zu schreiben. Er war gerade fertig damit, als |208| Nyberg sich am Telefon meldete und ihm mitteilte, er könne jetzt zumindest das Hinterzimmer durchsuchen. Nyberg hatte immer noch keine aufsehenerregenden Erkenntnisse gewonnen. Auch der Gerichtsmediziner hatte nichts anderes feststellen können, als daß Lamberg durch einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf getötet worden war. Wallander fragte, ob er jetzt schon sagen könne, welcher Typ von Mordwaffe verwendet worden war. Aber für eine Antwort darauf war es noch zu früh.
Wallander beendete das Gespräch und blieb sitzen und dachte an Rydberg. Seinen Lehrer und Mentor. Den besten Kriminalbeamten, den er je getroffen hatte. Er hatte Wallander gelehrt, wie wichtig es war, die Argumente zu drehen und zu wenden und sich auf diese Weise einem Problem aus unterschiedlichen Richtungen zu nähern.
Gerade jetzt fehlt er mir, dachte Wallander. Vielleicht sollte ich ihn heute abend anrufen. Er ging in den Eßraum und trank noch eine Tasse Kaffee. Vorsichtig kaute er an einem Zwieback. Die Zahnschmerzen kamen nicht wieder.
Weil er
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