Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Mund geöffnet, um mir einen guten Morgen zu wünschen, fiel mir wieder ein, wie er hieß.
Sein Name lautete Python, und er war ein Berufsredner. Ich hatte ihn schon häufig gesehen, entweder auf dem Marktplatz, wo er oft mit Sokrates und dessen Bewunderern zusammenhockte, oder in den Bädern und im Gymnasion. Er gehörte zu diesen Leuten, die sich selbst gern Philosophen nannten, in Wirklichkeit aber ihren Lebensunterhalt dadurch bestritten, anderen Menschen die Redekunst beizubringen, damit diese sich vor Gericht oder in der Volksversammlung besser auszudrücken vermochten. Hierbei handelt es sich um ein weiteres Gewerbe, das allmählich ausstirbt, wie ich mit großer Freude feststelle; nicht weil es wie das Denunzieren an sich abscheulich ist, sondern weil es solche abstoßenden Menschen geradewegs anzuziehen scheint.
Jedenfalls fragte ich ihn, was ich für ihn tun könne, woraufhin er mir antwortete, es stelle sich wohl eher die Frage, was er für mich tun könne. Offenbar war er über alle Maßen entzückt, im Gespräch schon so frühzeitig einen Chiasmus angewandt haben zu können, denn er kam mir wie ein Türverkäufer vor, der so schnell wie möglich seine Ware anpreisen wollte. Wie er sagte, könne er mir für ganze fünfzig Drachmen eine Verteidigungsrede anfertigen, mit deren Hilfe ich von den Geschworenen einstimmig freigesprochen werden würde.
»Ganz bestimmt«, bekräftigte er. »Ein Scheitern ist ausgeschlossen, der Erfolg garantiert.«
Ich fragte ihn daraufhin, ob er überhaupt wisse, wie meine Anklage laute, und er antwortete, daß es sich nach seinem Wissen um diese zerstörten Statuen handeln müsse.
»Und welcher besondere Aspekt dieses Falls stimmt dich so zuversichtlich?« wollte ich wissen. »Um dir die Wahrheit zu sagen, habe ich nicht die geringste Ahnung, was man dort gegen mich vorbringen wird.«
»Solches Wissen wäre nicht nützlich, sondern eher hinderlich«, meinte Python. »Das würde nämlich nur den Verstand vernebeln, wenn er eigentlich klar sein sollte. Du darfst dich nicht in der Defensive, sondern mußt dich in der Offensive wähnen. Das empfehle ich meinen Kunden generell.«
»Und was würdest du in einer Verteidigungsrede sagen?«
»Eine erfolgreiche Rede«, begann er, wobei er sich auf dem Stuhl ein Stück vorbeugte und die gespreizten Hände mit den Fingerspitzen zusammenführte, »ist eine Kombination aus Klarheit und Eleganz, aus Überzeugung und Leidenschaft, aus Spitzfindigkeit und Ernsthaftigkeit. Es muß die Vernunft mit Gefühlen einhergehen, doch darf die Vernunft nie von Gefühlen gesteuert werden. Ein schuldiger Mensch mag seine Unschuld beteuern, doch ein unschuldiger muß sich mit der Schuld auseinandersetzen. Zum Beispiel mit der Schuld seines Anklägers – oder sollten wir ein solches Vorgehen etwa nicht ins Auge fassen? Wie ich gehört habe, wird Aristophanes gegen dich aussagen. Nun sag doch selbst, handelt es sich hierbei womöglich nicht eher um einen Fall, wo der Ankläger zum Angeklagten werden sollte? Angenommen, es gelingt uns, die Beteiligung deines Gegenspielers an der nächtlichen Eskapade nachzuweisen, würde das schon genügen? Nein. Wir müssen dann fortfahren, ein genaues Bild von ihm zu vermitteln, um sozusagen seine Schuld ins rechte Licht zu rücken, damit die Geschworenen mit eigenen Augen sehen können, wie abgrundtief niederträchtig er ist. Auf diese Weise wird nicht nur sein Schwert stumpf, auch sein Schutzschild wird sich von ihm abwenden; das Lamm wird auf den Löwen springen. Auf diesen Rollentausch können wir uns allerdings nicht uneingeschränkt verlassen; aber immerhin haben wir uns dann von der Beweislast befreit und unseren Feind dazu verurteilt, mit seinem doppelten Spiel allein auf weiter Flur zu stehen.«
»Und was ist mit Zeugen?« fragte ich.
»Zeugen?«
»Zeugen.«
Python wirkte beleidigt. »Ich werde mich natürlich darum kümmern, alle notwendigen Zeugen zu beschaffen.«
»Ach so, ich verstehe. Du meinst also Berufszeugen.«
»Natürlich.« Er runzelte die Stirn und beugte sich erneut ein Stück vor. »Wenn dir der Pflug bricht, würdest du dann einen Töpfer beauftragen, ihn zu reparieren?«
»Nein.«
»Oder einen Hufschmied?«
»Nein.«
»Oder einen Waffenschmied oder Korbflechter oder Kranzflechter?«
»Nein.«
»Du ließest also einen Zimmermann kommen, nicht wahr?«
»Ja, höchstwahrscheinlich.«
»Und wenn dein Dach undicht ist, läßt du einen Baumeister kommen, und wenn deine Sandalen
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