Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
stritten sich und stimmten ab und klagten sich gegenseitig an, doch zum Schluß mußten sie einander eingestehen, daß sie der Wahrheit noch immer keinen Schritt näher waren als zu Beginn ihrer Sitzungen. Je länger sie darüber nachdachten, desto schwieriger wurde das Problem, und bald war davon die Rede, mit der ganzen Sache aufzuhören und geschlossen nach Sardinien auszuwandern.
Doch gerade als die Ausschußmitglieder wieder einmal kurz vor Handgreiflichkeiten standen, kam jemandem ein glänzender Einfall. Auch an dessen Namen kann ich mich nicht erinnern, aber ich bin sicher, ihr wißt, wen ich meine. Jedenfalls wurde diesem begabten Menschen klar, daß die Ausschußmitglieder – um aufgrund des Scheiterns an ihrer Aufgabe selbst eine Anklage und Verurteilung zum Tode zu vermeiden – lediglich zu behaupten brauchten, es sei eine riesige Verschwörung im Gange. Dann mußten sie nur noch ein paar unbeliebte Männer vor Gericht bringen und gleichzeitig Sparta den Krieg erklären.
Natürlich funktionierte das fabelhaft, und an dieses Rezept haben wir uns – mit geringfügigen Änderungen – seither immer gehalten. Die Verschwörung gegen die Statuen, Männer von Athen, ist nichts Neues; es ist dieselbe Verschwörung, wegen der man schon Blut und Wasser geschwitzt hat, als auf dem Parnes der Großvater meines Großvaters Ziegen hütete. Sicher, die Verschwörer wechseln, aber die Verschwörung wird fortgeführt. Sie zielt auf die Vernichtung der wahren Demokratie in Attika ab und ist so gewaltig, daß jeder einzelne von euch darin verwickelt ist. Es ist eine Verschwörung der Menschheit, um die Menschheit zu versklaven, und diese Verschwörung nennen wir Athen.
Glaubt bitte nicht, ich zöge irgendeine andere Regierungsform vor. Von einem Menschen zu erwarten, die Befehle eines anderen Menschen zu befolgen, ist unmenschlich, gleichgültig, ob es sich bei dem Betreffenden um einen König oder einen Tyrannen, einen Oligarchen oder ein Adligen, ein reichen Mann oder einen Soldaten handelt. Stellt euch nur einmal vor, wie es wäre, wenn Athen von einem Tyrannen regiert würde, wie es zu Peisistratos’ Zeiten war, als man die neun Brunnen angelegt, die Silbergruben eröffnet und das Ödland mit Olivenbäumen bepflanzt hat. Es gäbe Steuern und Einschränkungen der Redefreiheit und endlose Kriege und aus den Fingern gesogene politische Prozesse und alle diese Dinge. Zugegeben, die haben wir auch in unserem demokratischen System, aber wenigstens wissen wir, daß sie demokratisch eingeleitet worden sind. Das ist wie damals bei den thebanischen Soldaten, wenn sie einen nächtlichen Kampf führten und eine Gruppe Thebaner ziellos mit Pfeilen umherschoß und die eigenen Männer traf. Und die Soldaten auf der spitzen Seite der Pfeile waren in großer Bedrängnis und wußten nicht, was sie tun sollten, bis ein scharfsinniger Mann seinem Freund den Pfeil aus dem Bauch zog, sich die Federn am Ende des Schafts betrachtete, erleichtert lächelte und sagte: ›Keine Angst, Kamerad, das ist einer von unseren.‹
Dennoch liegt eine schreckliche sokratische Logik darin, was ihr euch… ich meine, was wir uns gegenseitig antun, oder sollte ich lieber sagen, was wir uns selbst antun? Tatsache ist: Die Athener haben sich selbst in böse Schwierigkeiten gebracht. Die erforderliche Maßnahme lautet: Jemand muß bestraft werden. Es müssen also Athener bestraft werden. Folglich müssen wir einige Athener bestrafen. Solche Folgerungsketten könnte ich endlos fortsetzen. Ihr wißt, was ich meine: Wenn man etwas nicht verloren hat, muß man es noch besitzen. Ihr habt keine Hörner verloren, folglich habt ihr immer noch Hörner. Da ist ein Pferd – es gehört euch nicht. Da ist ein Pferd, das euch nicht gehört. Folglich gehört euch kein Pferd. Befindet sich ein Mensch in Megara, befindet er sich nicht in Athen. In Megara befindet sich ein Mensch. Folglich befindet sich in Athen kein Mensch. Es muß jemand bestraft werden. Eupolis ist jemand. Folglich muß Eupolis bestraft werden. Wenn man es in ein Faß füllt und trägt, läuft Wasser auch bergauf.
Bleib beim Thema, Sohn des Euchoros, und versuch nicht, uns schlau zu kommen. Aber, Männer von Athen, was wollt ihr überhaupt von mir? Weshalb habt ihr mich, der nie etwas anderes getan hat, als Theaterstücke zu schreiben, eure Feinde anzugreifen und für euch gegen die Sizilianer zu kämpfen, vor Gericht gestellt? Sei nicht albern, Eupolis, du weißt ganz genau, was wir von dir wollen.
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