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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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gewesen waren.
    Ich marschierte zusammen mit Kallikrates und seinen beiden engsten Freunden, Myronides (der ein entfernter Vetter von uns war) und Kyon, der einmal in einem meiner Chöre gesungen hatte. Wenn ich es mir im nachhinein recht überlege, haben wir fast tagelang kaum miteinander geredet. Schon seit der nächtlichen Schlacht auf dem Epipolai hatte es keine dieser übereifrigen Unterhaltungen oder angeregten Diskussionen mehr gegeben, die unter normalen Umständen ein sicheres Anzeichen für die Anwesenheit von mehr als einem Athener sind; das ganze Lager war damals unnatürlich ruhig gewesen. Doch Kyon, Kallikrates’ Freund, gehörte zu jenen Menschen, die nie lange traurig sind und einen mit ihrer ständigen Fröhlichkeit fast zur Weißglut bringen können, und nach einer Weile fing er an, eins der Chorlieder aus meinem Stück zu summen, bei dem er seinerzeit mitgewirkt hatte. Kurz darauf fiel auch ich mit ein, da das Lied zu denen gehörte, auf die ich besonders stolz war. Zufällig handelte es ausschließlich von Demosthenes und einem äußerst anrüchigen Geschäft, in das er viele Jahre zuvor verwickelt gewesen war – es hatte etwas mit einer Schiffsladung abgelagertem Holz zu tun, die von irgendwoher aus dem Norden stammte und an der er interessiert gewesen war. Einige Teile des Lieds machten einen erstaunlich aktuellen Eindruck, zum Beispiel die Stelle, wo sich Demosthenes weigert, sein herrliches Schiff zu verlassen, das auf dem rotweindunklen Wasser des Hafens dümpelt. Jedenfalls nahmen die Soldaten um uns herum die Melodie auf, wie es marschierende Männer zu tun pflegen, und als wir zu Ende gesungen hatten, fingen wir wieder von vorn an. Beim Singen beschleunigten wir den Schritt, um mit der Musik im Takt zu bleiben, und bald schritten wir entschlossen voran und schmetterten dazu mein Lied über die geringfügige Unaufrichtigkeit unseres großen Heerführers, der mutig an der Spitze des Zugs marschierte, wie er es immer tat. Ich nehme an, die syrakusischen Späher, die uns schon seit unserem Aufbruch aus dem Lager folgten, nahmen an, wir alle seien nun endgültig verrückt geworden.
    Doch hielt diese Euphorie nicht lange an, und als das Lied verklang, schleppten wir uns bald wieder schweigend dahin. Einen erfreulichen Anblick bot sie nicht, diese Kolonne, was auch nicht durch das Eingreifen von Nikias, Sohn des Nikeratos, besser wurde. Da er die Mutlosigkeit seiner Soldaten bemerkte, fühlte er sich berufen, neben der Reihe hin- und herzuhumpeln, uns dabei aufzuheitern und in seinem unnachahmlich feierlichen und schwülstigen Stil mit vor Zuversicht triefenden Worten zu ermutigen. Natürlich empfanden das fast alle Soldaten als äußerst unangenehm; denn zum einen war Nikias’ Krankheit seit der Schlacht viel schlimmer geworden, so daß er sich inzwischen nur noch unter starken Schmerzen bewegen konnte (was viele Männer für überaus lustig hielten), und darüber hinaus kann ich mir nicht vorstellen, daß es noch allzu viele Soldaten im Heer gab, die nach dem Verderben, in das uns Nikias alle getrieben hatte, freiwillig auch nur einen Obolos gegeben hätten, um sein Leben zu retten. Aber er war noch immer unser Heerführer, und deshalb schrien ihn nur wenige Männer an oder bewarfen ihn gar mit kleinen Steinen, wenn er vorbeikam. Man blickte einfach in die andere Richtung und unterhielt sich laut mit dem Nachbarn, um das, was er sagte, zu übertönen, bis Demosthenes von der Spitze des Zugs nach hinten gerannt kam, um seinen Freund vor dieser Selbsterniedrigung zu bewahren. Sobald die Soldaten Demosthenes erblickten, jubelten sie, was die ganze Sache für Nikias nur noch schlimmer machte. Mir tat er leid; auch wenn er ein Trottel war und wahrscheinlich für unser aller Tod verantwortlich sein würde, war er doch der Geldgeber für meinen Heerführer gewesen (eine weitere solche Katastrophe, fiel mir dabei ein), und deshalb empfand ich ihm gegenüber ein gewisses Maß an Loyalität. Leider konnte ich nicht anders, als laut loszulachen, als er zu unserem Teil des Zuges schlurfte und eine seiner Tiraden losließ, zumal er fast Wort für Wort sein berühmtes Geschwätz wiederholte, daß es nicht Mauern und Schiffe seien, die eine Stadt ausmachten, sondern die Menschen – mit diesen und ähnlichen Floskeln hatte er uns schon damals während unserer Theaterproben ständig belästigt, bis fast alle die Lust an der Arbeit verloren hatten. Mit meinem Lachen steckte ich die Männer rings um mich an

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