Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Schläge ausgeteilt, als wären sie die Achaier vor Troja gewesen. Während sich uns die Schiffe näherten, wurden die Männer um mich herum ruhig und beobachteten die Versuche der Syrakuser, sich von ihren Verfolgern zu lösen. Ich muß gestehen, daß ich mir wünschte, sie würden es schaffen, denn als sie in die Nähe des Strands kamen und zu wenden versuchten, sah ich den Ausdruck auf ihren Gesichtern. Sie sahen so bemitleidenswert aus, daß ich jetzt, da alles so endgültig entschieden war, nicht mehr den geringsten Sinn in ihrem gewaltsamen Tod erkennen konnte. Doch ein einziges Mal an diesem Tag setzten sich die Athener durch, und das feindliche Schiff lief nach mehreren verzweifelten Wendeversuchen vor der Küste auf Grund und war somit manövrierunfähig. Kaum machte es keine Fahrt mehr, stießen die Männer um mich herum den wildesten Freudenschrei aus, den man sich vorstellen kann, und rannten planschend ins flache Wasser hinaus. Innerhalb weniger Minuten zerlegten sie sämtliche Männer an Bord des syrakusischen Schiffs, ob tot oder lebendig, in einzelne Stücke Schlachtfleisch. Zu den Opfern gehörten auch ein paar kerkyrische Verbündete, die bereits vorher von den Syrakusern aus dem Wasser gefischt worden waren. Ich hörte diese Männer ganz deutlich schreien, wer sie waren, aber niemand scherte sich darum. Der ganze Vorfall erinnerte mich an einen schlechten Tag in der Volksversammlung oder an den Gerichtshöfen, wenn die Wähler bereits eine feste Meinung gefaßt haben und sich die entgegengesetzte Ansicht nicht anhören wollen.
Nur noch eins. Ein paar Stunden nach der Schlacht ging ich hinunter zum Strand, um etwas Treibholz fürs Feuer zu sammeln, und entdeckte die Leiche eines Mannes, die ein paar Meter vom Ufer entfernt friedlich im Wasser trieb. Die Gestalt kam mir bekannt vor, und da ich neugierig war, watete ich hinaus und riskierte einen Blick – es war der gleichzeitig glückliche und unglückliche Schmied. In der Stirn hatte er eine Wunde von einer Pfeilspitze, und die Fische hatten sich auch schon über ihn hergemacht, aber es handelte sich ganz unverkennbar um ihn. Zwar mag es nur an der Erschlaffung der Muskeln gelegen haben, die nach dem Tod eintritt, doch hätte ich schwören können, daß er lächelte. Als ich mit dem Treibholz zum Lager zurückkehrte, versuchte ich verzweifelt, mich an die Rede zu erinnern, die ich mir unmittelbar vor Beginn der Schlacht hatte einfallen lassen, aber sie war mir völlig entfallen.
5. KAPITEL
Vor etwa einer Woche, kurz bevor ich damit anfing, diese Geschichte in Wachs zu kratzen – Wachs ist übrigens auch nicht mehr das, was es einmal war; in meiner Jugend zerbröckelte es nie und blätterte auch nicht so ab wie heutzutage, und man konnte es einschmelzen und immer wieder benutzen –, stellte ich fest, daß ich mich an die eine oder andere Einzelheit nicht mehr erinnern konnte, und entschloß mich, lieber Nachforschungen anzustellen. Also ging ich zum Marktplatz hinauf, wo ich Dexitheos’ Stand aufsuchte, um nachzusehen, ob sich ein bestimmtes Buch in seinem Sortiment befand, das sich mit den mich interessierenden Themen befaßte. Ich entdeckte das gesuchte Werk tatsächlich und überredete Dexitheos, mich kostenlos einen Blick hineinwerfen zu lassen – Sie werden sich entsinnen, daß Dexitheos der glückliche Unternehmer ist, der sich das Vervielfältigungsrecht für dieses große Werk von mir gesichert hat, und ich überzeugte ihn davon, daß es in seinem eigenen Interesse sei, wenn alle Fakten darin stimmten. Da ich an jenem Morgen zum einen nichts anderes zu tun hatte und zum anderen Dexitheos ärgern wollte, blieb ich noch eine Weile stehen und schmökerte in einigen anderen Büchern, wozu auch eins über die Expedition nach Sizilien gehörte, an der ich gegenwärtig schreibe. Während ich so dastand und mir selbst aus dem Buch laut vorlas, schnappte ein kleiner alter Mann (ich würde sagen, er war ungefähr in meinem Alter, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger, aber gichtbrüchig) offenbar ein paar von den Sätzen auf, die ich gerade rezitierte, und kam zu mir herüber.
»Was hast du da gesagt?« fragte er mich.
»Ich habe das nicht gesagt«, erwiderte ich, »das steht in diesem Buch. Es ist von« – ich sah auf dem Kopf der Rolle nach – »Pheidon von Lepkis, wer immer das ist.«
»Und was hast du da gerade vorgelesen?«
Ich überflog noch einmal die Seite. »Er sagt, daß in der großen Hafenschlacht zwischen Athenern und
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