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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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anzustellen, was wir bis nach Catina bräuchten, ohne darauf angewiesen zu sein, unterwegs etwas zu essen zu finden. Demosthenes erkannte, daß das einzige Mittel, das zur Beruhigung von Nikias’ augenblicklichem, an Hysterie grenzenden Zustand führen könnte, ein fünfstündiger Gewaltmarsch durch schwere Buchführung wäre, und ließ ihm deshalb seinen Willen. Das war natürlich ein verhängnisvoller Fehler, aber ich vermute, Demosthenes hegte eine aufrichtige, wenn auch verfehlte Zuneigung zu Nikias, der unmittelbar nach der Schlacht die Qualen der Verdammten auszustehen hatte, und brachte es einfach nicht übers Herz, ihm irgend etwas auszuschlagen.
    Darum verließen wir erst drei Tage nach dem Gefecht dieses grauenvolle Lager, das eher einem von Fieber geschüttelten Schlachthaus glich. Außer mir schien es im ganzen Heer nicht einen einzigen Mann zu geben, dem unser Aufbruch nicht das Herz brach. Zunächst einmal ließ ein Großteil verwundete Freunde zurück – es bestand keine Möglichkeit, die Verwundeten mitzunehmen –, und der Rest gefallene Verwandte und Bekannte, die noch nicht einmal begraben worden waren. Zudem verspürte man die natürliche und instinktive Angst, einen offenbar sicheren Ort zu verlassen und in eine eindeutig feindselige Welt hinauszuziehen, was durch den Umstand, daß wir auch unsere Schiffe zurückließen, noch unendlich viel schlimmer wurde. Ein athenischer Soldat betrachtet die Schiffe mit den gleichen Augen wie ein Kleinkind seine Mutter; solange sie da sind, kann er nicht restlos die Hoffnung verlieren, sind sie aber erst einmal außer Sichtweite, wird er in panischen Schrecken versetzt und verliert fast den Verstand.
    Da ich gerade darüber nachdenke, fällt mir ein, daß es in der Flotte, mit der wir nach Sizilien gerudert waren, ein bestimmtes Schiff gab, das eine beinahe göttliche Ausstrahlung gewonnen hatte. Nach Form und Bauart zu urteilen, war es offenbar ziemlich alt, und im Lager war rasch die Legende entstanden, es handle sich dabei um eins der Schiffe, die der berühmte Themistokles vor sehr vielen Jahren, kurz vor Ausbruch der großen Perserkriege, gebaut hatte. Es habe schon beim unsterblichen Sieg bei Salamis in Dienst gestanden und damals das Schiff eines der persischen Admiräle versenkt. Obwohl dieser Gedanke zweifellos lächerlich war, glaubten doch die meisten von uns daran, und durch irgendeinen merkwürdigen Zufall war es tatsächlich das einzige unserer Schiffe, das in beiden Gefechten weder Schäden noch Opfer zu beklagen hatte. In der zweiten Schlacht hatte es sogar ein syrakusisches Schiff durch Rammen versenken können und war eine unserer letzten Flotteneinheiten, die sich vom Kampf zurückgezogen hatten. Aus diesem Grund glaubten wir an dieses Schiff, als wäre es unser Schutzgott, und der Gedanke, es zurückzulassen, war für einige unserer Männer der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Letztendlich legten wir vor unserem Aufbruch die am schwersten Verwundeten hinein, von denen seltsamerweise die meisten überlebten und nach Athen zurückkehrten, da sowohl das Schiff als auch sein Inhalt von einem reichen syrakusischen Sklavenhändler gekauft wurde, der insgeheim auf Seiten der Athener stand. Er ließ Ärzte kommen, die sich um die Männer kümmerten, und als der Krieg vorüber war und der athenische Staat für das Schiff keine weitere Verwendung hatte, ließ er es ins Landesinnere zu seinem attischen Gut ziehen und auf einem Fundament vor seinem Haus aufstellen, neben dem auf einer gemeißelten Säule ausführlich die ungewöhnliche Geschichte des Schiffs erzählt wurde. Dort stand es noch gute zehn Jahre, bis es ein Sklave aus Versehen in Brand steckte und so beschädigte, daß es nicht mehr zu reparieren war. Daraufhin ließ man es auseinanderbrechen, und die noch brauchbaren Spanten wurden zum Bau eines Lagerhauses für Käse verwandt.
    Das Heer (diesen Begriff gebrauche ich ziemlich frei), das aus dem Lager zog, war über vierzigtausend Mann stark und damit größer als die griechische Armee, die in den großen Perserkriegen eine Million Perser bei Platää besiegt hatte. Ein Großteil unserer Streitmacht bestand natürlich aus Verbündeten, aber ich hatte trotzdem den Eindruck, daß die gesamte männliche Bevölkerung Athens – vielmehr das, was noch davon übrig war – in diesem Heer vertreten war. Es erinnerte mich stark an das Ende des letzten Tages der Panhymettischen Festspiele, wenn alle Stücke entsetzlich schlecht

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