Wallentin, Jan
Als die Flüssigkeit auf das
erhitzte Gasrohr traf, war ein Zischen zu hören, und ein schwacher Eisengeruch
breitete sich aus. Don schaute zum Hakenkreuz an der Decke und zu Strindbergs
im Drahtnetz befindlichen Gegenständen hinauf und dachte: Das ist also der
Mittelpunkt der Welt.
Er
verharrte so lange in der knienden Position, bis sich eine tiefe Blutlache um
das hervorstehende Gasrohr gebildet hatte. Elena schien bereits zu diesem
Zeitpunkt von der Zeremonie genug zu haben, und er vernahm ein enttäuschtes
Ausatmen, als sie ihm wieder auf die Beine half.
Das
Letzte, was Don im Inneren der Krypta sah, als er das Eingangsgewölbe wieder
passierte, war, wie Eberlein ihm hochachtungsvoll zunickte. Hinter den
entspiegelten Brillengläsern waren die gelblichgrauen Augen von einer seltsamen
Helligkeit erfüllt.
Auf der
Treppe hinauf zum oberen Saal wickelte ihm die Frau mit vorsichtigen Bewegungen
eine Bandage um die Schnittfläche am Arm.
»Für das,
was gerade geschehen ist, kann ich nichts«, flüsterte sie.
Don
spürte, wie er nickte, ohne ihren Worten auch nur einen Augenblick lang zu
glauben. Dann hielt er den bandagierten Arm vor die Brust und erklomm unsicher
die letzten Stufen zum Obergruppenführersaal, wo er vor den Stiefelabsätzen
der Rechtsanwältin Eva Strand zusammensank.
Wie durch
einen Nebel hindurch sah Don, wie die schwarz gekleideten Männer mit den
kahlrasierten Schädeln Vater aus seinem Elektrorollstuhl hoben und den
spindeldürren Mann hinunter in die Krypta trugen.
Die Frau stand
zögernd da, als wüsste sie nicht recht, ob sie ihm folgen, oder im oberen Saal
des Nordturms stehen bleiben sollte. Doch schließlich entschied sie sich und
machte einige Schritte die Treppe hinunter. Don öffnete den Mund, um ihr eine
Warnung hinterherzurufen. Doch vielleicht zögerte er zu lange, oder es gelang
seinen trockenen Lippen nicht, die Worte zu formen.
Unten in
der Krypta war Vater gerade auf dem zwölften Sockel zum Sitzen gekommen.
»Raus
bitte«, signalisierte er den Männern, die ihn getragen hatten, woraufhin sie
sich unmittelbar in Bewegung setzten.
Direkt
außerhalb des Eingangsgewölbes blieben sie gemeinsam mit Elena stehen, um das
Geschehen zu verfolgen.
Eberlein
sprach einige Worte in seinen Knopf im Ohr, woraufhin sich die Ketten aus dem
Hakenkreuz an der kreisförmigen Decke zu senken begannen. Der Seba-Stern, der
auf dem Querbalken des Anch-Kreuzes lag, erzitterte bei der Bewegung nach unten
leicht und gab ein dumpfes Klirren von sich.
Als das
Drahtnetz mit den Gegenständen nur noch einen Meter von der Gasflamme entfernt
war, erhöhte sich der Luftdruck in der Krypta.
Elena
drängte sich näher heran, um Strindbergs Gegenstände zum ersten Mal seit 1917
zusammenschmelzen zu sehen. Um die Sphären, von denen Vater ihr so oft erzählt
hatte, und den suchenden Strahl des Polarsterns zu bewundern. All das, was sie
bisher nur auf Bildern gesehen hatte, die ihr unbekannte Reaktion, die den
leeren Mittelpunkt ihres Lebens ausgemacht hatte.
Jetzt hing
es noch ein Stück tiefer.
Elena und
die beiden Männer standen dicht gedrängt auf der Treppe neben dem
Eingangsgewölbe. Eberleins Mund war rot und in den Augen der Kröte blitzte die
Gasflamme in verzerrter erstarrter Form auf. Das Letzte, was Elena hörte, war,
wie Vater etwas über Karl Maria Wiligut und den Sieg des jüdischen Blutes
ausrief.
Einen
Augenblick später wurde sie vom Blitz der Explosion geblendet, der vom Kreuz
und dem Stern aufstieg. Die nachfolgende Detonation riss die Krypta in Stücke,
ein Dröhnen, das plötzlich verstummte - sie wurde von der gewaltigen Kraft der
Druckwelle ungebremst nach hinten geschleudert.
Brüderkrankenhaus St. Josef
Während
des kurzen Augenblicks, in dem Elena wieder aus dem Nebel auftauchte, in den
der Narkosetropf sie versetzt hatte, hörte sie Hilfeschreie und Menschen, die
hin- und herrannten. Dann stellte sie fest, dass alles, was sie hörte, von
links kam, während sich ihre rechte Gesichtshälfte taub, wie abgeschnitten
anfühlte. Sie sank sachte zurück in die Dunkelheit, in der Hoffnung, nie wieder
aufwachen zu müssen.
Der
Schmerz fühlte sich an, als würde sich jemand mit einer Schere durch ihren
rechten Gehörgang wühlen. Mit geballter Faust presste Elena die Bandage so fest
sie konnte gegen ihre Schläfe, doch das, was sich dort in das Innere ihres
Kopfes bohrte, konnte sie nicht erreichen.
Seitdem
die Krankenschwestern sie gezwungen hatten zu
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