Wallentin, Jan
die schrille Stimme: »Don, du
kenst mir nisht pishn oyfn rikn meynendik as dos iz bloyz regen!«
Er kam dem
Tunnel jetzt immer näher, und bald würde er wieder draußen sein.
»DON, DU
KENST MIR NISHT PISHN OYFN RIKN MEYNENDIK AS DOZ IZ BLOYZ REGEN!«
Dann
spürte er unmittelbar über den Augen einen intensiven Schmerz. Als er sich
umdrehte und zu dem hellen Staubgesicht aufschaute, hatte das Schwarze auf der
Stirn begonnen, sich langsamer zu drehen, immer gemächlicher, schleppender,
und noch bevor die Bewegung aufhörte, erkannte er die Form der Swastika.
»Jetzt
sind Sie aber eindeutig falsch gefahren.«
Die Stimme
der Rechtsanwältin drang durch die Dunkelheit.
»Das
glaube ich nicht«, antwortete der Dünnhaarige.
Don schlug
die Augen auf und rieb sich seinen schmerzenden Nacken. Eva war auf die
äußerste Kante der Rückbank vorgerutscht, die Hand auf der Rückenlehne des
Fahrersitzes.
»Sie
hätten doch nur die Bergsgata hochfahren müssen, um zum Polizeigebäude zu
gelangen. Jetzt sind wir entschieden zu weit gefahren.«
»Du kenst
mir nisht pishn oyfn rikn meynendik as doz iz bloyz regen«, sagte Don.
Die Rechtsanwältin
schreckte auf und drehte sich zu Don um.
»Ein
jiddischer Ausdruck. Du kenst mir nisht pishn oyfn rikn
meynendik as doz iz bloyz regen.«
Der Blick
des Dünnhaarigen im Rückspiegel.
»Du kannst
mir nicht auf den Kopf pissen und mir einreden, es sei nur Regen.«
Die
Rechtsanwältin wandte sich wieder nach vorne:
»Jetzt
möchte ich aber endlich wissen, wohin wir fahren.«
Doch sie
erhielt keine Antwort. Lediglich das dumpfe Rauschen der Reifen auf dem Asphalt
der Stockholmer Straßen war zu hören.
Don konnte
vage die schrille Lautsprecherstimme von irgendeinem Demonstrationszug hören,
als sie an der Lichtskulptur auf Sergels torg vorbeikamen. Dann sah er durch
die getönten Scheiben den Eingang des Kaufhauses NK und die Schatten all der
Menschen, die mit Einkaufstüten beladen auf dem Nachhauseweg waren.
Schließlich erblickte er die breite Treppe von Dramaten, woraufhin sie hinaus
auf den Strandväg fuhren und die Schiffsanleger passierten. Nachdem sie die
Djurgärdsbro überquert und hinaus nach Skansen gekommen waren, bog der
Dünnhaarige plötzlich links ab und fuhr eine gewundene Allee hinauf.
Als sie
die mächtigen Eichen der Zufahrt passiert hatten, bremste der Wagen auf dem
Wendeplatz einer Villa aus der Zeit der Jahrhundertwende, die mit
dunkelbraunen Holzschindeln verkleidet war. Das unregelmäßige Dach war mit
schmalen Streifen glasierter grüner Ziegel gedeckt. Der Granitsockel ging
nahezu übergangslos in die angrenzende Terrasse über und vermittelte einem
somit das Gefühl, als wäre das Haus auf natürliche Weise aus dem schwedischen
Urgestein erwachsen. Durch die Heckscheibe hindurch konnte Don zwei Männer aus
dem Eingangsbereich der Villa herauskommen sehen.
Der eine
trug einen dunklen Anzug und schien mindestens sechzig Jahre alt zu sein. Der
andere war klein und hatte einen breiten Schädel, der direkt auf seinen
Schultern zu sitzen schien, was ihn aussehen ließ wie eine Kröte. Die Türen
wurden entriegelt, während der Mann im dunklen Anzug die letzten Schritte auf
den Wagen zuging und die hintere Tür auf Dons Seite öffnete. Er stellte sich
als Reinhard Eberlein vor, und während er diesen ersten kurzen Satz aussprach,
konnte Don bereits seinen leichten deutschen Akzent erkennen.
Eberlein
Hinter dem
Eingangsbereich der Villa öffnete sich ein geräumiges Treppenhaus mit niedrig
hängenden Kronleuchtern. Das Licht der künstlichen Kerzen ließ Don an eine
Tropfsteinhöhle denken, doch statt mit unregelmäßigem Granit waren die Wände
hier mit Ölgemälden bedeckt.
Ihnen
schlug ein Geruch aus Staub und Nationalromantik entgegen: Zorns Mädchen aus
Dalarna, die sich im Wasser spiegelten, Liljefors' Vogelzüge und schließlich
die Hauptattraktion - ein wie ein Portal geformtes Gemälde von Carl Larsson,
das zentral über dem breiten protzigen Treppenaufgang platziert war. Ein
Mädchen mit Sonnenschirm, zwei flachsfarbene Köpfe in Kittelschürzen. Darunter
der Titel des Bildes: »Die Meinen«. Auf einem Tablett unter dem vergoldeten
Spiegel lagen mehrere Briefe, die mit dem deutschen Bundesadler abgestempelt
waren.
Der Mann,
der sich als Eberlein vorgestellt hatte, nahm Don am Arm und führte ihn über
das knarrende Parkett. Vermutlich war es der gräulichbleiche Farbton seiner
Gesichtshaut, der Don dazu verleitete, ihn auf
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