Wallentin, Jan
mindestens sechzig zu schätzen,
doch inzwischen war er sich nicht mehr ganz sicher, denn der Deutsche an seiner
Seite bewegte sich geschmeidig wie eine Katze. Sein Körper unter dem Anzug war
schlank und sehnig, seine Schultern schmal, und auf seiner spitzen Nase saß
eine Brille mit entspiegelten Gläsern. Der Mund unterhalb der runden
Brillengläser war eine Nuance zu rot, und seine Lippen schienen in einem nach
innen gekehrten Lächeln erstarrt zu sein.
Der andere
Mann, der ihn immer noch stark an eine Kröte erinnerte, hatte gemeinsam mit
Eva Strand bereits die halbe Treppe erklommen. Don folgte mit seinem Blick der
Hand der Rechtsanwältin, die auf dem weißlackierten Treppengeländer das letzte
Stück zur Balustrade des Obergeschosses hinaufglitt.
Die beiden
Sicherheitspolizisten schienen nicht die Absicht zu hegen, ihnen weiter ins
Haus zu folgen, und als Eberlein Don so weit hinaufgeführt hatte, dass er ins
Treppenhaus hinunterblicken konnte, sah er im Augenwinkel, wie sich der
Dünnhaarige gemächlich eine Zigarette ansteckte.
Im
Obergeschoss geleitete sie die Kröte weiter durch eine Reihe von hellen Salons,
die für eine Ausgabe der Wohnzeitschriff >Svenskt Tenn< hätten Modell
stehen können. Eine Wendeltreppe aus Birkenholz schlängelte sich zu einem
dunklen Korridor hinauf, an dessen Ende sich eine verschlossene Doppeltür
befand.
Eberlein
holte zwei Schlüssel in Miniaturgröße hervor, die er offensichtlich von dem
dünnhaarigen Säpomann ausgehändigt bekommen hatte. Dann schloss er Dons Handschellen
auf und massierte mit weichen Bewegungen dessen Handgelenke. Der Deutsche
roch nach einem schweren Aftershave.
»Ich
hoffe, Sie wissen, dass kein Grund zur Besorgnis besteht«, vernahm Don eine
Stimme mit einer gebrochenen Satzmelodie an seinem Ohr. »Es wird sich
lediglich um ein paar Fragen in aller Freundschaft drehen. Um einen
Informationsaustausch, wenn man so will.«
Der
Deutsche berührte ihn leicht am Arm.
»Hier
entlang.«
Auf der
anderen Seite der doppelten Türen öffnete sich eine gewölbte Bibliothek. Die
Regale entlang der hohen Wände des Raums reichten vom Fußboden bis zur Decke.
Endlose Reihen schwarzer Buchrücken wurden unten von einem Teppichboden
begrenzt, der so dick war, dass er jegliche Geräusche dämpfen würde. Don kam
sich vor wie in einem Kokon. In der Mitte des Raums stand unter gläsernen
Lampen ein dunkel gebeizter Tisch, an dem Eberlein ihnen nun bedeutete, Platz
zu nehmen.
Grüne
Stühle mit Lederbezug und Nieten aus Messing. Don sank auf einen der Stühle und
zog die Tasche auf seinem Schoß näher an seinen gekrümmten Oberkörper heran.
Dann hörte er, wie jemand hinter ihm, vermutlich die Kröte, beide Türen
verschloss. Mit einem Seufzer, der etwas gepresst klang, nahm Eva Strand
ebenfalls Platz am Tisch und begann ihre Papiere zu sortieren.
»Es
handelt sich nur um ein rein informelles Gespräch ...«, begann Eberlein und
streifte Dons Rücken leicht, als er hinter ihm vorbeiging.
Der
Bibliothekskokon verengte sich noch ein wenig mehr, und Don spürte, wie Eva ihn
mit einem leichten Knuff in die Seite aus seiner Trance zu wecken versuchte.
Doch als er stumm blieb, antwortete sie statt seiner:
»Wir
verstehen nicht ganz, um was für ein Gespräch es sich hier handeln soll.«
Eberlein
zog den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches hervor, richtete seine dunklen
Hosen und setzte sich. Dann verschränkte er die Finger vor sich auf dem Tisch,
und hinter den entspiegelten Brillengläsern richteten sich ein Paar
gelblichgraue, sehr tiefliegende Augen auf Don.
»Zuerst möchte
ich Sie in der Villa Lindarne, einem Teil der Deutschen Botschaft willkommen
heißen.«
»Sie
agieren also im Auftrag der Botschaft?«, fragte Eva Strand.
Über
Eberleins Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln.
»Der
Botschafter ist so etwas wie ein guter Freund von uns, aber ich persönlich bin
erst heute Nachmittag nach Stockholm gekommen. Und ich wäre, wie gesagt,
dankbar, wenn ...«
Er deutete
auf ihren Stift.
»Dankbar,
wenn wir dieses Gespräch so entspannt wie möglich führen könnten.«
Die
Rechtsanwältin zögerte einen Augenblick, doch dann zuckte sie mit den Achseln
und legte den Stift zur Seite.
»Ich bin
hier, um Ihnen im Auftrag einer Stiftung einige Fragen zu stellen«, erklärte
Eberlein. »In Deutschland herrscht großes Interesse daran, diese Sache gründlich
zu untersuchen, und zwar aus, sagen wir mal historischen Gründen.«
»Eine
deutsche
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