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Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Titel: Wallner beginnt zu fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas von Steinaecker
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weil Wendy neulich Bonbons im BILLA gestohlen hat, sie wollte die Bonbons nicht stehlen, sie hat sie aus dem Regal genommen, und weder die Mama noch der Mann an der Kasse haben etwas bemerkt, und ihr ist erst nachher, in ihrem Zimmer, eingefallen, daß sie etwas Böses getan hat, und sie hat nicht einschlafen können, aber der Mama hat sie nichts gesagt und dem Vati schon gleich zweimal nichts. Die Gendarmen sagen, daß der Vati einen Unfall gehabt habe und daß es ihnen leid tue, und die Mama hat die Hände vors Gesicht geschlagen und einen ganz kurzen hohen Schrei gemacht, und die Gendarmen haben gesagt, daß der Vati tot sei.
    Wendy sieht diese Szene noch immer vor sich . . . Sie kann sich noch genau an diese Bilder erinnern . . . Was dabei aber gesagt wurde, das ist ihr erst später von Therese erzählt worden, auch das mit dem Schrei. Als seien die Bilder Jahre später nachsynchronisiert worden.
    17
    Sie nimmt einen Schluck Wasser aus dem Glas. Das Glas hat da schon gestanden, als sie hereingekommen ist. Vielleicht haben daraus die beiden vor ihr, die aus Greifswald und der aus Regensburg, getrunken, wer weiß . . . Sie spürt die Kohlensäure im Hals, prickelnd, und hofft, daß sie davon nicht in den folgenden 45 Minuten aufstoßen muß. Sie schaut auf die erste Seite ihres Skripts auf dem Bildschirm ihres grünen Retro-Apples.
    „Meine Damen und Herren. ‚How digital are you?‘ lautet der Titel meines Vortrags.“
    Sie scrollt noch mal bis zum Schluß des Skripts, um sich zum dritten Mal heute zu vergewissern, daß es auch wirklich vollständig im Computer vorhanden ist.
    Ihres Wissens gibt es erstaunlicherweise relativ wenige Aufsätze zum Teddy -Phänomen, das heißt der Verdrängung der Bücher in den letzten zwanzig Jahren durch Texts on Discs , im Volksmund: Teddys , vor langer Zeit auch Hyper-Novels genannt. Autoren sind kaum mehr in Papierform zu bekommen, zum Beispiel die Klassiker, Shakespeare, Austen, Joyce et cetera, sondern nur mehr in der Teddy -Version, als Shakespeare- Teddy , Austen- Teddy , Joyce- Teddy , et cetera.
    Eigentlich hatte Wendy einen Vortrag halten wollen mit dem Titel Lieben Sie Hayden? – Über die Unmöglichkeit der Darstellung von Geschichte . Seit ihr Esther bei einem ihrer letzten Streite ins Gesicht geschrien hatte „Und weißt du, was mich am meisten ankotzt?? Du gehst einfach so durchs Leben, total unreflektiert, du denkst nicht mehr über deine Sexualität nach, und du denkst nicht darüber nach, wer du eigentlich bist, woher du kommst“, seitdem hatte sich Wendy, vielleicht aus Trotz, für aktuelle Geschichtstheorien zu interessieren begonnen. In ihrem Vortrag hätte sie die nach den Diskussionen über „den Fakt“ und „das Faktische“ in den letzten Jahrzehnten wieder in Mode gekommenen Thesen Hayden Whites aufgegriffen – die Geschichtsschreibung bedient sich fiktionaler Plot-Muster – und diese auf die neuesten Medien angewandt. Folgende Fragen beschäftigten sie: Was für einen Effekt hat die Verdrängung der Schrift- durch die Bildmedien auf die Geschichtsschreibung? Wenn heute Geschichte nicht mehr geschrieben, sondern, strenggenommen, gesprochen , nämlich diktiert, wird, kann man dann von einer neuen „oral culture“ und einem „Neuen Zeitalter des Mythischen“ sprechen? Leider war sie mit dem Thema nicht zu Rande gekommen, ihre Recherchen verschlangen viel mehr Zeit, als sie gedacht hatte, so daß sie schließlich doch auf Nummer Sicher ging und das wesentlich ungefährlichere, aber dankbarere Thema der Teddys wählte.
    Der Herr vom Institut neben ihr, den sie nicht kennt, stellt sie vor, er spricht von ihr als Frau Wallner, was ihr noch immer einen kurzen Stich gibt, weil sie sich noch immer nicht hundertprozentig an ihren neuen Nachnamen gewöhnt hat, seit sie ihn nach ihrer Thesis, auf deren Titelblatt sie die Verfasserin mit Wendy Wallner angab, beim Einwohnermeldeamt in Salzburg anstelle von Scharnagl eintragen ließ.
    Sie kann nur gewinnen. Eigentlich ist die Stelle eine Junior-Professur mit Schwerpunkt Medientheorie . . . Also ist Wendy eben Medientheorie-Spezialistin und war Medientheorie eben eigentlich immer schon ihr Schwerpunkt und, das wird sie nachher im Gespräch mit der Kommission sagen, ihre heimliche Leidenschaft, obwohl der Vortrag hier strenggenommen ihre erste Arbeit über Medientheorie ist, die Programmierarbeit an Gerti mal nicht mitgerechnet.
    Der Herr vom Institut hat aufgehört zu reden. Sie schaut von ihrem grünen

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