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Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Titel: Wallner beginnt zu fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas von Steinaecker
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Gebrauchsanweisung, ein Groschenroman, bloß fertig werden, bloß durchkommen, hatte sie damals gedacht, und sie sieht unten rechts auf dem Bildschirm an der Uhr, daß es Viertel nach ist, und sie schaut in die spärlich gefüllten Reihen des Hörsaals, und sie liest ab: „Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zur Einführung in Postcolonial Studies, die ich, wie im Vorlesungsverzeichnis angekündigt, auf englisch halten werde.“
    25
    Wie lange sie da schon in ihrem Zimmer auf und ab, vom Bett zum Tisch und vom Tisch zum Bett, gegangen ist, weiß sie nicht, als sie auf das Display ihres rosa Retro-Apples schaut, jedenfalls hat der Bildschirmschoner, den sie sich nach langem Suchen von einer Seite mit Vintage-Software heruntergeladen hat, bereits eine Aquariumslandschaft mit Unterwasserpflanzen und bunten Fischen gezeigt, die virtuelle Luftblasen ausstoßen. Wendy kommt mit ihrem beknackten Oh, Uncle! -Buch einfach nicht weiter! Nur das letzte und vorletzte Kapitel hat sie schon, das heißt Kapitel eins und zwei muß sie, will sie den Termin einhalten, in sechs statt, wie eigentlich von ihr geplant, zwölf Monaten schreiben! Wie soll sie das schaffen? Ist Wendy Superwoman?
    Wendy ist, ohne daß sie darauf geachtet hat, nicht vom Tisch zum Bett, sondern vom Tisch zur Tür gegangen, auf dem Flur hat plötzlich ihre neue Mitbewohnerin vor ihr gestanden, Wendy hat vor Schreck „Aaaahh“ gemacht, „Was machst du denn hier?“
    Wendys neue Mitbewohnerin Tina, die Wendy mal aus Zerstreuung mit Thekla angesprochen hat, woraufhin Tina meinte, daß ihr Thekla viel besser gefalle als Tina, in Zukunft solle Wendy Tina Thekla nennen, Tina sagt unschuldig: „Ich wollte gerade zu dir. Dich was fragen. Und zwar. Ich treffe doch heute den Hajem. Der, von dem ich dir erzählt habe. Und da wollte ich dich fragen . . .“
    Tina schaut auf ihre Hände, Wendy schaut auf Tinas Hände. Tina spielt mit einem Stoffknäuel.
    „. . . weil du kennst mich ja jetzt ganz gut. Ob ich also. Na, ob ich mit dem Hajem schon beim ersten Date schlafen soll oder nicht, ob man so was macht.“
    Wendy werden in diesem Moment vier Dinge klar.
    A) Wendy und Tina kennen sich eigentlich überhaupt nicht. Wendy ist ja nur selten hier in Berlin. Sie haben sich vielleicht zweimal unterhalten. Und das war eher über Haushaltsangelegenheiten. Tina liegt also falsch (siehe: „Weil du kennst mich ja jetzt ganz gut“).
    B) Tina sieht Wendy wohl als so etwas wie eine ältere Schwester an, die schon so viel mehr Erfahrung hat als sie und daher Ratschläge geben kann. Siehe jetzt, wie Tina zu Wendy, ganz Rehkitz, hochsieht, wie schüchtern und zugleich zutraulich sie ist.
    C) Wendy mag zwar fast 15 Jahre älter als Tina sein. So viel mehr Erfahrung, was Jungs angeht, hat sie aber nicht. Was soll sie jetzt sagen? Heiko war ein Macho und Quentin ein Waschlappen. Ich lese nur täglich in meinen schlauen Büchern über anale Phasen, sexuelle Orientierung, den Phallus und das Über-Ich et cetera. Wenn ich dir daraus vorlesen würde, kleine Tina, würdest du von alldem nur Bahnhof verstehen. Mein letzter Geschlechtsverkehr liegt so lange zurück, da möchte ich gar nicht zu rechnen anfangen. Ich masturbiere regelmäßig.
    D) Tina ist eine Süße. Wendy würde sie in diesem Moment gern küssen – – –
    Wendy rät: „Na, ich würde mal nichts überstürzen. Immer langsam angehen. Wenn er der Richtige ist, dann werdet ihr noch genügend Gelegenheiten haben, in die Kiste zu hüpfen“ und klopft Tina auf den Rücken, als die sie umarmt und sagt: „Dank dir, Wendy. Ich bin echt glücklich, daß wir so gute Freundinnen sind.“
    Vor dem Schlafengehen steht Wendy vor dem Spiegel im Bad, trägt Anti-Aging-Gesichtscreme auf und bürstet ihr Haar mit den grauen Strähnen. Zu ihrem Spiegelbild sagt sie: „Nein, Hajem, laß uns das mal alles langsam angehen. Ich gehe jetzt nach Hause. Wollen wir telefonieren?“
    Sie schwäbelt dabei ein wenig, weil Tina ein wenig schwäbelt –.
    26
    Wendy ist zusammengezuckt, als Jennifer auf Tinas Frage hin, welche Bands denn bei BIBO so unter Vertrag seien, neben Tau, den KOPs und Rottweiler auch Onkelchen nannte. Wendy reagiert immer noch allergisch auf jede Art von Onkel-Themen. Obwohl sie ja schon seit gut einem halben Jahr mit dem zweiten Buch fertig ist, durchlebt sie in solchen Momenten quasi im Zeitraffer die gesamte Anspannung der vergangenen Jahre, die durchgeschriebenen Nächte, das Fingernägelkauen, das

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