Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
übernahmen Stefan Wallner und Ulrich Wiget die insolvente Firma Lindinger . Unter dem Namen Wallner & Wiget entwickelte sich die Firma für Landmaschinen bald zu einer der erfolgreichsten des Landes. Dem Großprojekt der Wiederbesiedelung Brandenburgs folgten 2011 der Börsengang sowie internationale Aufträge, vorrangig aus Tschechien und Polen. 2014 fusionierte die Firma mit dem Hamburger Unternehmen van Riet. Heute, ein halbes Jahrhundert später, sind Henning jr. und Lars van Riet – die inzwischen dritte Van-Riet-Generation in Cham – stolz, Sie weiterhin beliefern zu dürfen. Bitte denken Sie daran, daß seit der Verlegung unseres Hauptsitzes nach Hamburg unser Standort in Cham vor allem als Ersatzteillager dient. Gerne stehen wir Ihnen bei Problemen mit Ihren Maschinen unter oben angegebener Hotline zur Verfügung. Fordern Sie jetzt auch kostenlos die Broschüre zum Jubiläum, ‚100 Jahre Van Riet‘, an!
Es freuen sich auf Ihren Besuch,
Ihr Henning jr. und Lars van Riet.“
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„Eine der acht Videokassetten (à 180 Minuten) aus dem Nachlaß meines Vaters enthält einen circa fünfminütigen Film eines Aufenthalts mit meiner Großmutter in Bukarest, circa 1998. Meine Großmutter ist nicht wiederzuerkennen. Statt sich wie auf den Filmen in Cham bei Treffen mit Freunden meines Großvaters still im Hintergrund zu halten, unterhält sie sich blendend beim Mittagessen mit Leuten, bei denen es sich offensichtlich um Verwandte handelt. Sie lacht immer wieder laut auf – ein Lachen, das man sonst nicht von ihr hört – und ist zum Blödeln aufgelegt, zum Beispiel wenn sie sich das Baseballcap meines Vaters umgedreht aufsetzt, zusammen mit ihm damals aktuelle Popsongs singt und dabei wie ein Popstar posiert. In einer Einstellung entdeckt sie, daß mein Vater sie filmt. Sie schürzt ihren Rock, zieht kokett die Schultern hoch und macht Tanzschritte. Zu den Bildern, die Ansichten der Stadt zeigen, ist aus dem Off immer wieder ihre Stimme sowie die meines Vaters zu hören. Ihr Klang bleibt einem noch lange im Ohr, auch nachdem man den Film ausgemacht hat.“
Wendy markiert den letzten Satz und löscht ihn.
„Auch wenn nicht zu verstehen ist, worüber sich die beiden unterhalten – sie sprechen Rumänisch, nur ab und zu rutscht mein Vater, wohl weil er das Wort nicht weiß, ins Deutsche, zum Beispiel ‚Quatsch‘, ‚Pappel‘, ‚Kirchturm‘ und ähnliches –, wird deutlich, daß meine Großmutter meinem Vater die Stadt zeigt. [Analyse: Mutter-Sohn-Verhältnis!! Mögliche ödipale Beziehung?!]“
Wendy beißt von ihrer Nußschnecke ab.
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„Und? Was machst du zur Zeit? Woran sitzt du?“
„Ich arbeite noch immer an meinem zweiten Buch.“
„Der Onkel.“
„Der Onkel.“
„Ich dachte, du bist schon fertig damit. Ich dachte, du hast dich für Bremen beworben.“
„Bremen?“
„Dann war das wer anders. Und wie weit bist du mit deinem Onkel?“
„Ja. Ich sitze gerade am Vorwort die Tage.“
Wendy schaut aus dem Fenster, in den vollkommen wolkenlosen dunkelblauen Himmel.
„Wendy? Ich wollte dir noch was sagen. Also, ich wollte dir sagen, daß, wenn irgend etwas ist, daß du dann wirklich jederzeit zu mir kommen kannst. Du kannst vor der Tür mit deinem Zeug stehen, und ich werde da auch gar nicht fragen; daß das von früher vorbei ist, also dessen bin ich mir bewußt. Aber du wirst mir immer, also, nahe sein. Auch wenn wir länger nicht gesprochen haben. Oder du rufst an, solltest du etwas brauchen. Das wollte ich dir nur jetzt noch mal sagen.“
Wendy schaut aus dem Fenster, in den vollkommen wolkenlosen dunkelblauen Himmel. Sie weiß, daß sie jetzt irgendwas sagen muß. Sie denkt, daß es so schön ist, wieder Esthers Stimme zu hören, daß sie Esthers Stimme vermißt hat und daß das gefährlich ist, das zu denken, daß man da sehr schnell rückfällig wird –.
Sie sagt: „Ja.“
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„Betrachtet man den Lebenslauf meines Vaters, so sticht sein ungebrochener Tatendrang ins Auge. Man könnte geneigt sein, Costin Wallner als manisch zu bezeichnen. Schon als Jugendlicher nahm er regelmäßig Tanz- und Gesangsunterricht – immer mit dem Ziel einer Karriere als Popstar, ein Ziel, das er mit 28 Jahren schließlich als Mitglied der gecasteten Gruppe Die PingPongs erreichte; dem folgten eine Karriere als Synchronsprecher, Auftritte in Reality-Shows, endlich die Gründung eines eigenen Musiklabels, BIBO genannt. Allein aus diesen Fakten wird ein Außenstehender auf den Fleiß, die
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