Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
aus Nigeria hierher importiert worden und haben die längste Zeit in einem kleinen Chamer Schaufenster gestanden. Stefan Wallner und Costins Mutter werden nur mehr selten zurück in ihr Haus nach Cham gekommen sein. In ihrem Haus in Cham werden viele Souvenirs aus Nigeria gestanden haben. Im Garten Nigeria-Pfähle. Stefan Wallner wird manchmal im Schlafzimmer zum Spaß vor dem Zubettgehen einen nigerianischen Stammestanz aufgeführt haben. Costins Mutter wird vom Bett aus zugeschaut, gelacht und geklatscht haben. Nachher werden sie, beide braungebrannt, im Bett gelegen und Händchen gehalten haben. Erst spät, als Pensionäre, werden sie so mit sich und ihrem Schicksal Frieden geschlossen haben. Costins Mutter wird Stefan Wallner verziehen haben. Die Boutique. Die Reisen nach Nigeria. Der Stammestanz. Auf ihre alten Tage werden sie wieder zueinandergefunden haben. Sie werden sich geliebt haben.
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Sie schaltet die Plasma-Wand ein, und die Anzeige einer digitalen Uhr auf hellblauem Hintergrund füllt den Bildschirm aus, 57, 58, 59, 00, und eine sehr attraktive indische Nachrichtensprecherin in weißer Bluse hat gesagt, daß durch den Bürgerkrieg in Teheran weiterhin chaotische Zustände herrschen und sich die Zahl der Zivilopfer mittlerweile auf über 1000 belaufe, und eine Frau mit Kopftuch hat neben dem kleinen Leichnam ihres in schwarz gekleideten Jungen gekniet und sich mit den Fäusten auf die Brust geschlagen und die Augen geschlossen und gejammert und die Hände vors Gesicht gehalten, und hinter ihr sind Trümmer gewesen, und plötzlich hat Wendy einen Kloß im Hals gehabt, und ihr sind die Tränen gekommen, und sie hält es nicht aus, diese Mutter zu sehen, die um ihren Jungen trauert, und sie weint, weil es so etwas gibt, und sie will nicht, daß es so etwas gibt, und sie wird wütend, weil sie weiß, daß sie wieder mal dem Fernsehen auf den Leim gegangen ist und in diesem Moment genau das fühlt, was die, die das senden, wollen, und sie wird wütend, weil sie nicht eine dieser sentimentalen Tussen sein möchte, die bei jedem Scheiß im Fernsehen heulen, und sie schneuzt sich und hört auf zu weinen, und ein kleines Mädchen in weißem Kleid läuft durch eine Gasse auf die Kamera zu, und vereinzelt sind Gewehrsalven zu hören, und das Mädchen schreit laut vor Angst auf und heult, und Wendy hat einen Kloß im Hals, und ihr kommen die Tränen.
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Die Frau im hellblauen Anzug ist durch den Gang in die Küche geschwebt, ist dort langsam zu einem Schrank hoch an die Decke geflogen, hat eine Box herausgeholt und hat mit einem Löffel Paste daraus gegessen, während ihr Körper in der Luft leicht hin- und herpendelt. Im Knacken und Rauschen der Übertragung hat man die Frau atmen gehört. Wendy schaut von der Plasma-Wand, der Sendung „ live! vom Mars“, die täglich um halb sieben mitteleuropäischer Zeit, 30 Minuten, das Geschehen in der Raumstation auf dem Mars zeigt, auf die Fotos auf dem Boden.
Wendy tut der Rücken weh –. Sie hockt hier schon den ganzen Nachmittag; hat Kartons mit Schachteln mit Fotos und Fototaschen und Alben und Videokassetten aus dem Kellerabteil hochgeschleppt, ausgepackt, gesichtet und alles im Uhrzeigersinn um sich herum angeordnet, der ganze Teppich ist bedeckt, bis zum Bett, zum Regal, zur Tür.
Rechts von ihr, von 1 bis 4 Uhr: Die vielen Fotos, vor allem schwarzweiß, mit denen sie nichts so recht anzufangen weiß. Den Zweig von Anas und den von Stefans Familie kann sie zwar klar unterscheiden, es gibt Frauen und Männer und Kinder, die sehr rumänisch und solche, die sehr deutsch aussehen. Auch läßt die Häufigkeit, mit der einige Paare abgebildet sind, darauf schließen, wer Anas und wer Stefans Eltern sind. Der alte Herr mit der deutlich jüngeren wasserstoffblonden Frau vor dem Petersdom zum Beispiel – das müssen Stefans Eltern sein. Aber wer all die anderen lächelnden, nachdenklich neben die Kamera blickenden oder sich unterhaltenden Menschen sind, in den künstlichen Landschaften von Ateliers, in sommerlichen Gärten, in reich möblierten Zimmern, vor Wahrzeichen großer Städte, und ob es sich bei den Kindern in Matrosenanzügen und weißen Kleidchen teilweise um frühe Aufnahmen jener Erwachsenen handelt, denen dann auf anderen Bildern Bärte gewachsen, die Haare ausgefallen oder grau geworden sind, das kann Wendy auf die Schnelle jetzt nicht sagen.
Von 4 bis 8 Uhr: Cham, das heißt Ana und Stefan und Costin. Ana mit Bauch, Stefan und Ana mit Baby Costin,
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