Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
abgebrochene Entwicklung des Duos setzen die KOPs jetzt, Jahrzehnte danach, fort und beantworten die Frage, welche Musik Jackson heute machen würde, hätte er sich nicht exzessiv operieren oder besser transformieren lassen, wobei die Zunahme der Operationen nach der Trennung des väterlichen Mentors Jones proportional zum Nachlassen der eigenen Schaffenskraft stehe – so der Sänger und Kopf der KOPs .
Dadurch, daß hier Musik, die an sich Chartpotential besäße, mit einem intellektuellen Diskurs (was ist das denn, bitte?) verbunden werde, komme low zu high, kurz, die KOPs hätten das Zeug, einmal zu den neuen heimlichen Lieblingen des Undergrounds zu werden, so Georgi (nie ohne ihren Hund Timmi unterwegs, mit dem sie jetzt auch nebenan in ihrem Büro sitzt), die burschikose Mittdreißigerin mit schwarzem Wuschelkopf, die die KOPs letzten Sommer auf dem Störtebeker-Open-Air in Stralsund entdeckt hatte und die Costin vom insolventen bayerischen Indie-Label Maulwurf-Records als Talent-Scout für BIBO übernommen hatte.
Das Geräusch, das die Spitze des Goldfüllers auf dem Papier macht, wenn jetzt die Bandmitglieder im ansonsten stillen Büro den Vertrag mit ihren Namen unterzeichnen, das Kratzen, ist wohl der Sound, nach dem sich jeder von ihnen, wie auch mal Costin, so lange gesehnt hat und der ihnen von jetzt an im Gedächtnis bleiben wird, das Geräusch des Signens: einfach nur geil in diesem Moment.
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Lore geht zum Schlußapplaus des Publikums in ihrem trotz ihrer korpulenten Figur hauteng geschnittenen hellbraunen Hosenanzug mit Nadelstreifen – Autsch! – von ihrem Platz auf einer der Treppen zwischen den Zuschauerreihen, wo sie die meiste Zeit während der Sendung gestanden hatte, auf die Bühne und verabschiedet nacheinander die Gäste mit Handschlag.
Sie sagt: „Das war Lore mit dem Thema ‚Sind wir zu viele?‘ Nächste Woche zur selben Zeit heißt es dann ‚Das Leben danach‘, unter anderem mit jemandem, der von sich sagt, er sei schon sieben Mal geboren worden, und mit Costin Wallner alias CO, Ex-Popstar, Ex-Alm-Bewohner und was weiß ich noch alles. Also, bleiben Sie mir treu! Ihre Lore.“
Als der Applaus abrupt, wahrscheinlich auf ein Zeichen eines Assistenten hin, verstummt und auf dem Monitor im Warteraum in einer starren Kameraeinstellung nur noch die halbdunkle Bühne gezeigt worden ist, von der inzwischen mit kleinen vorsichtigen Schritten auch der letzte Gast verschwunden ist – das ehemalige Mitglied einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern, die bis vor kurzem zur Erforschung alternativer Wohnmöglichkeiten zwei Jahre lang von der Außenwelt abgeschnitten in einer Tauchstation lebten und sich unter anderem monatelang wegen schlechten Fischfangs ausschließlich von Plankton ernährten („Algen schmecken super!“, so der Wissenschaftler aus Kiel, der jeden Satz gleichzeitig mit den Händen in Taucher- beziehungsweise der am Ende zwischen der anscheinend nicht mehr sehr kommunikationsfreudigen Gruppe üblich gewordenen Taubstummensprache mitformte) –, lehnt sich Costin auf dem Sofa zurück, faltet die Hände hinter dem Kopf und versucht aus den Augenwinkeln heraus festzustellen, wer der anderen Gäste der nächsten Sendung am ehesten so aussieht, als sei er schon siebenmal geboren worden. Der Mann mit Glatze und dem zerstörten Gesicht, rechts neben ihm, der solariumbraune Mann mit schlecht blondiertem Haar und Goldkette, links von ihm, oder der daneben, der so Mitte 20 sein muß und, seit er hier sitzt, Gameboy spielt.
Die Tür hat sich geöffnet, eine Frau sagt, man solle mit in die Maske. Auf dem Flur zwängt sich Costin an weiteren Gästen der vorigen Sendung vorbei, einer 21köpfigen Familie aus Braunschweig in akuter Wohnungsnot, deren Mitglieder in diesem Moment, aus der unmittelbaren Nähe betrachtet, relativ wenig äußere Ähnlichkeiten miteinander aufweisen. Und hat nicht der Steppke mit dem glatten blonden Haar den anderen mit dem gelockten schwarzen Haar gerade gefragt, wie denn sein Agent heiße, seiner sei Kacke, das hier sei erst sein zweites erfolgreiches Casting gewesen? Lore, auf die eben eine junge sportive Frau mit Headset einredet, hat Costin, den sie vor sechs oder sieben Jahren zusammen mit den anderen PingPongs eingeladen hatte, mit „Hallo, Costin, sieht man dich mal wieder“ begrüßt, bevor sie die junge sportive Frau mit Headset stehenläßt und hinter der Tür mit der Aufschrift Garderobe verschwindet.
Im Spiegel, dem er in der Maske
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