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Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Titel: Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Docht des hohen Kandelabers. Wird er zünden? Wird vielleicht noch ein Tröpfchen Öl in seinem metallenen Bauch geblieben sein? Fünfzig lange Jahre stand er unberührt, es ist undenkbar, daß der Brennstoff noch Leuchtkraft besitzt – und dennoch. Der Docht fängt Feuer; sie sind gerettet; der ganze Hohlraum der Lampe ist mit gelbem Öle angefüllt, genug, um ein Jahr lang den Docht zu tränken. Diese Entdeckung, so freudig sie im Augenblick von den beiden begrüßt wird, erregt jedoch auch ihre Besorgnis, denn sie verrät, daß von Zeit zu Zeit Inspektionen über diese Reichtümer abgehalten werden. Also ist Vorsicht nötig. Im Umdrehen stößt Rebekka zufällig an eine kleine Schatulle, diese fällt zu Boden und leert ihren glitzernden Inhalt auf den Teppich aus. Perlen, Edelsteine sind es, die in reicher Menge über den Boden rieseln, wie die Tautropfen, die ein Busch im Morgenwind abschüttelt. Rebekka läßt diesen Glanz lächelnd durch ihre Finger gleiten, während Isaak seine Taschen mit goldenen Ringen füllt. Der Schein der Lampe erhellt nun den Saal bis zur Decke; er strahlt in seinem eigenen Goldglanz, im Schimmer seiner Edelsteine, seiner Gemälde und Teppiche, Urnen und Schüsseln, wie ein Zauberpalast, wie ein Glutmeer, wie der Ort, in welchem die Sonne in den flammenden Nil versank. Längere Zeit vergeht schweigend; die Geschwister suchen nach Laune und Bedürfnis unter den Kostbarkeiten, ihre brennenden Augen schweifen hastig über die herrlichen Gegenstände; bald wird ein Kleinod gewählt, bald wird ein anderes wieder weggeworfen; man könnte sie vergleichen mit zwei Spaziergängern, die im Felde Blumen suchen, wenn nicht der ungeduldige Eifer, die zitternde Hast, mit der sie ihr Werk betreiben, diesen Vergleich unstatthaft machte. Plötzlich stößt das Mädchen einen Schrei aus. Ihr Bruder eilt herzu, er sieht sie am Boden über der umgestürzten Schatulle knien und, eine Papyrusrolle in den Händen, eifrig lesen. Ein geheimes Schubfach des elfenbeinernen Kistchens liegt zerbrochen.
    »Was hast du?« fragte er. »Lag dieser Papyrus in der Schatulle versteckt? Zeig' her!«
    »Ist es möglich,« hört er die Schwester flüstern.
    »Nun? Laß mich wissen, was dein Herz also in Schrecken versetzt. Du erbleichst? Deine Hände zittern? Das ist man an dir nicht gewohnt.«
    »Sie – die Tochter des Königs?« murmelt die Schwester.
    »Wer die Tochter des Königs? Welches Königs Tochter?«
    »Lies! Hier, lies!« ruft nun Rebekka mit bebender Stimme. »Lies! wenn das Wahrheit ist, was da auf dieser Rolle steht, wenn wir nicht träumen, wenn dieser Name, der hier angegeben steht, einem noch lebenden Wesen angehört . . . Dann, Isaak, was dann tun? Ich weiß nicht, ob wir uns zu dem Besitz dieses Dokumentes Glück wünschen, oder ob wir vor Wut und Verdruß rasend werden sollen. Lies! So lies doch und starre nicht so furchtsam auf das Blatt.«
    »Es sind Hieroglyphen, die ich nicht verstehe,« sagte Isaak.
    »Nun, so höre.«
    Darauf beginnt Rebekka folgendes Schreiben vorzulesen:
    »Ich, Seti I., der Sohn der Sonne, geliebt von den Göttern, geliebt von den Menschen, bekenne durch diese Schrift, die ich in dieser Schatulle aufbewahre, daß ich während meiner letzten Regierungsjahre mit Rahel, der Jüdin, in einem nicht zu billigenden Verhältnis gelebt. Rahel, die Jüdin, hatte mein Herz umstrickt, ich hielt sie für wahr und ehrlich, sie aber schmiedete mit dem Oberpriester Amni einen Anschlag auf mein Leben, weshalb ich sie in die Goldbergwerke Äthiopiens schickte, damit sie dort ihr Verbrechen büße. Diesem Verhältnis entsprang eine Tochter mit Namen Myrrah, welcher ich in Liebe zugetan war, deren Spur mir jedoch nach dem Tode Rahels verloren ging. Jetzt auf dem Totenbette, wo ich diese Schrift verfasse, überkommt mich Sehnsucht nach diesem Kinde und ich beschwöre jeden, dem diese Rolle in die Hände fällt, dafür Sorge zu – –« Von hier ab wurden die Schriftzeichen völlig unleserlich; deutlich ließ sich erkennen, daß sich die Hand des sterbenden Königs vergeblich bemühte, Ordnung und Zusammenhang in seine Buchstaben zu bringen, nur sein Name stand kräftig am Ende des Bogens.
    Schon als er den Namen: Myrrah! vernahm, war Isaak erblaßt. Rebekka sah ihn nach Beendigung dieses Schriftstückes fragend an:
    »Glaubst du in der Tat . . .?« stammelte Isaak.
    »Was?« frug sie barsch.
    »Was? Nun, daß Myrrah – du weißt, was ich sagen will!«
    »Die Tochter des Königs ist?«

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