Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
einem finsteren Traume erwachend, ihre verschiedenen Kostbarkeiten zusammen, klopfte höhnisch lächelnd auf die Stelle ihrer Brust, an der sie das Testament des Königs verborgen und forderte Isaak auf, mit ihr das Schatzhaus zu verlassen, da der Morgen bereits seine purpurnen Flügel über Memphis erhoben haben mochte und sie vor Tagesanbruch wieder zu Hause sein mußten. Rasch packte auch Isaak seine Kleinodien in ein Bündel, füllte seine Kleider mit Gold an und trat, nachdem er seine Lampe an der des Schatzhauses getränkt hatte, den Rückweg an. Sie hatten Gänge und Säle lautlos durchschritten und standen wieder vor der Ausgangstüre. Sie wußten, daß sie dieselbe verschlossen hatten, aber sei es, daß dies nicht auf die richtige Art geschehen war, oder daß während ihres Eindringens ins Innere die Türe fester in das Schloß gefallen war, kurz, sie wollte sich trotz der vereinten Anstrengungen beider nicht mehr öffnen lassen. Rütteln, Schlagen und Ziehen half nichts, die Eisentüre blieb unbeweglich. Was tun? Beiden lief es eiskalt über den Rücken. Waren sie wirklich gefangen? Eingeschlossen in diesem Grab? Lebendige Mumien? Isaak riß sich an den vorspringenden Steinen die Nägel blutig und war nahe daran, in lautes Wehklagen auszubrechen, wenn nicht seine Schwester, allen ihren Mut zusammennehmend, ihm diese Schwäche untersagt hätte. Sie versuchte über diesen lästigen Aufenthalt zu scherzen, suchte ihn als eine Neckerei des Zufalls hinzustellen; ihre Blässe, ihr Zittern strafte jedoch ihre Heiterkeit Lügen. Isaak rüttelte nun wie ein Unsinniger an der Eisenplatte; das Echo gab ihm höhnende Antwort.
»Jehova! Jehova!« wimmerte er, mit dem Kopf an die Türe sinkend, »hilf deinen Kindern. Sprenge diese Wand, nur du vermagst es.«
»Behellige Jehova nicht mit solchen Kleinigkeiten,« versuchte Rebekka zu witzeln, »er hat Wichtigeres zu tun. Gehe! nimm die Laterne, eile noch einmal rasch zurück in den Saal, ergreife dort irgendein Instrument, mit dem sich die Stahlfeder der Türe, die ich durch diesen Spalt blinken sehe, zurückschieben läßt. Gehe, guter Bruder, und bekümmere dich nicht um den schnarchenden Jehova – wir sind selbst unser Jehova!«
Nach einigem Weigern entschloß sich Isaak, den Weg zurückzumachen. Rebekka wartete lange im Dunkeln; Minute auf Minute verrann; schon bereute sie, daß sie ihm nicht gefolgt. Die Dunkelheit umgab sie wie ein erdrückender Panzer, die Beklommenheit raubte ihr den Atem. Er kam immer noch nicht. Hatte er sich verirrt? War ihm ein Ungeahntes zugestoßen? Sie rief seinen Namen in die Nacht hinein – endlich glänzte ihr von weitem ein Licht entgegen. Das Licht kam näher, Isaak schwankte, ein Messer in den Händen haltend, heran. Dieses Messer setzte nun Rebekka in das Schlüsselloch, während Isaak sich gegen die Türe stemmte, sie zurückzudrängen. Endlich, endlich bewegte sie sich, langsam rollte sie in die Wand zurück. Sie waren erlöst aus den Banden des Todes, und da schaukelte sich auch zu ihren Füßen der geduldig harrende Kahn. Hastig sprangen sie hinein und ruderten heimwärts, denn schon glühten die gelben Kalkberge im Osten rötlichblaß, schon versank der Mond. Kühl blies der Wind; ein behagliches Schaudern überkam die Geschwister, sie streichelten zärtlich ihre mit Goldringen beladenen Säcke und malten sich bereits aus, was sie nun zuerst sich anzuschaffen benötigt wären. Fast gerieten sie in heiteren Streit über diesen Punkt, denn Rebekka strebte nach Schmuck, Isaak wollte eine schöne Wohnung gekauft wissen, womöglich eine Villa am Nil. Ihre Phantasie schwelgte in den üppigsten Bildern, sie wurden nicht satt, ihre künftige Haushaltung auszumalen, als sich aber die ersten Strahlen der Sonne glorienhaft über Memphis erhoben und Stadt und Fluß und Gebirg in diesem brennenden Sonnenkusse verschmolzen, küßten sich beide schweigend und gedachten des Vaters im dankbaren Herzen.
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Am Morgen des folgenden Tages wurde Rebekka durch wiederholtes Rufen aus dem Schlafe gestört. Sie sah sich, prächtig angetan, auf dem ägyptischen Throne und verzehrte ebendaselbst eine Dattel, deren Überreste sie einem Priester an den kahlen Schädel warf, als dieses Traumgebilde durch das schon erwähnte Rufen und Pochen verwischt ward. Voll Bestürzung eilte sie an das Fenster und das erste, was ihr dort entgegenglänzte, war der kahle Schädel eines Priesters. Ist es derselbe, frug sie sich, noch halb träumend,
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