Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Hand auf die weiße Lotosblume. Ein leises Knacken ward hörbar, diesem folgte ein metallenes Klingen, wie wenn zwei Schwerter aneinander hingleiten und nun sahen die beiden überrascht, wie sich unter dumpfem Dröhnen, das unheimlich in dem Gewölbe des Gebäudes nachhallte, das Bild des Gottes in die Mauer langsam zurückschob. Das Tor war also von Erz, nicht von Stein, seine Rollen und Federn waren trotz der langen Jahre, in welchen sie unbenutzt lagen, dennoch frisch, elastisch, wie am Tag ihres erstmaligen Gebrauchs – oder, frug sich der Schatzfinder besorgt: sollten zuweilen Beamte des Königs das Innere dieses Gebäudes betreten, die Kostbarkeiten zu überwachen? Hatte die Tadellosigkeit des Mechanismus hierin seinen Grund? – Vor den Blicken der beiden Schatzgräber lag nun ein völlig dunkler Gang. Als wolle er in die Unterwelt führen, als sähe der, der sich ihm anvertraut, nie wieder die Sonne, starrte sein schwarzer Rachen die beiden an; ein trockener, eisigkalter Hauch, der sie schaudern machte, wehte ihnen aus diesem Abgrund entgegen, wie der Atem aus dem Hals eines Pestkranken. Zögernd trat Isaak mit seiner Laterne, die glatten, regelmäßigen Wände beleuchtend, in diesen Gang ein, während seine Schwester den Kahn an einer Wurzel befestigte, die aus dem Gestein sprang, um dann ihrem Bruder zu folgen.
»Vergiß nicht, das Tor wieder zu schließen,« sagte sie.
»Ich rate, wir lassen es offen,« meinte Isaak, »wer weiß, mit welcher Schwierigkeit sein Öffnen verknüpft ist, wenn wir wieder zurück wollen.«
»Nein, es muß geschlossen werden,« bestimmte Rebekka, »wie leicht könnte uns das offene Tor einem vorüberfahrenden Boot verraten.«
Sie sah noch einmal scheuprüfenden Blickes den Nil ab- und aufwärts, ob sich kein menschliches Wesen blicken ließ; da aber die Wasserfläche still im Glanze des Mondes schlief, die Ruhe nur zuweilen vom säuselnden Schilfgestade unterbrochen wurde, zog sie die eiserne Türe aus der Mauer und drückte sie sorgfältig in das Schloß. Nun standen sie allein in dem ungeheuren Gemäuer; Nacht, Geheimnis ringsum, weit entfernt von jeder Hilfe, entrückt dem menschlichen Leben, in einer Welt, in welcher die Finsternis Königin ist, und das Schweigen sich mit dem Tod vermählt. Ein fröstelndes Grausen überlief beide, als sie nun weiter schritten, von einem Gang in den anderen, erst geradeaus, dann eine Treppe hinab, dann wieder auf ebener Erde, dann wieder hinauf, dann durch einen großen, mit wild dämonischen Gestalten ausgemalten Saal, dann durch eine Kammer.
Nach einer viertelstündigen Wanderung hielten sie in einem größeren Saale an, der von Säulen getragen, an den Wänden Jagden, Kriegszüge, Opfer in grellbunten Bildern zeigte. Sie mochten bereits tief unter der Erde angekommen sein, und noch immer kein Zeichen, daß sie sich dem ersehnten Schatze näherten. Die Laterne des jungen Mannes zeigte nur, wenn ihr Schimmer durch die dicke, schwere Finsternis, an den Riesenwänden ohnmächtig dahinhuschte, Säulen, Wandgemälde, ein paar Urnen oder auch eine einsame Steinbank, auf die sich noch nie jemand gesetzt. Die Ruhe des Grabes, die hier unten weilte, die schwarze Luft, die sich bleiern auf die Brust legte, die trostlose Einsamkeit, der groteske Totentanz der Bilder an den Wänden, versetzte die beiden Wanderer in einen Zustand von unheimlich fröstelnder Aufregung.
»Wir müssen weiter, Bruder,« flüsterte die Schwester, vor ihren eigenen Worten erschreckend, die ihr hohl, tonlos von der kaum erhellten Decke herabfielen, »dort sehe ich den Ausgang aus diesem Saal – sieh! eine kleine Türe, die in einen Gang führt! Rasch, daß wir zu Ende kommen. Nun, was stehst du? Ist dir bange?«
»Gar nicht!«
»Nun, so gehe voran!«
»Ja, was ist denn das für ein dunkler Flecken, der mich da umschwirrt?«
»Es wird eine Fledermaus sein, was kümmert's uns. Nur Mut, Isaak, bedenke, daß wir dicht vor dem unermeßlichsten Glück stehen.«
»Wenn er nur noch vorhanden ist, der Schatz? Ich fürchte, wir haben uns umsonst hierher bemüht; das geht so weiter, Schwester – Säle, Gänge, Hallen, Kammern – sieh nur! wie riesig unser Schatten da an der Wand hinschwebt.«
»Was geht dich dein Schatten an. Sieh dich nicht um.«
»Mich friert, daß mir die Zähne aneinanderschlagen. Es ist gar zu tot hier unten.«
»Sprich nicht soviel, du steckst mich an mit deiner Furcht. Nun, was stehst du plötzlich erbleichend still? Laß doch die Laterne nicht
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