Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
hätte der Maler Wesen geschaffen, die leben möchten und doch nicht leben können. Mich dauern immer die armen gemalten Menschen oft so sehr, daß ich um sie weinen könnte.«
»Du gute Seele,« lächelte der Jüngling.
»Ja, ja!« fährt sie heiterer fort, »als Kind betete ich stets für die gemalten Menschen euerer Tempel. Einmal brachte ich ihnen von meinem Brot, aber sie wollten es nicht annehmen, sondern sahen mich so starr an, daß ich zitternd davonlief.«
»Wie ist dir,« fragt nun der junge Mann zärtlich, »du siehst zwar noch blaß aus, doch scheinst du kräftiger zu sein?«
Er reicht ihr hierauf einen Becher, an dessen weingerötetem Rand sie nippt.
»Mir ist wohl,« flüstert das Mädchen, in welchem wir nun, da sie sich ein wenig in die Höhe setzt, Myrrah erkennen, »mir ist wohl! denn bist du nicht so freundlich gegen mich? Pflegst du mich nicht seit jener schrecklichen Stunde, wo du mich aus den Händen jenes Abscheulichen befreitest, mit wahrhaft mütterlicher Sorgfalt? Eigenhändig trägst du mir Speisen herzu, hältst mich, die Gefahr nicht achtend, hier versteckt in diesem Hause und gibst dir unsägliche Mühe, meinen trüben Geist zu erheitern.«
»Was mir, hoffe ich, gelungen ist?« fragt Menes.
»Ja! ich habe nun den Schrecken überwunden,« sagt Myrrah, indem noch immer ein Schauder ihren schönen Leib überrieselt, wenn sie an das nächtliche Abenteuer denkt.
»Nie mehr,« entgegnet ihr Menes, »will ich dich an diese häßliche Geschichte erinnern, Myrrah. Wir wollen sie vergessen, denn zwei Tage lang lagst du, obgleich dein Körper unverletzt war, zwei Tage lang lagst du in Fieberphantasien hier auf diesem Polster, so sehr griff dieses widrige Ereignis deine zarte Seele an.«
»Es war eine furchtbare halbe Stunde, die ich durchlebte,« flüstert Myrrah, »aber du hast recht, schweigen wir davon.«
Dennoch war dies Ereignis die Begründung von Menes' Glück, denn seine rasch eingreifende Hilfe füllte das Gemüt des Mädchens mit so reicher Dankbarkeit an, daß von diesem Augenblick alle ihre Bedenken schwanden, die sie bisher ihren Freund meiden hießen; sie liebte ihn, sie lernte seine edle Aufopferungsfähigkeit kennen, und als er nun gar sich mit liebenswürdiger Unbeholfenheit zu ihrem Krankenpfleger gemacht, glaubte sie in ihm einen Menschen zu besitzen, wie er nicht zum zweiten Male auf diesem Erdboden gefunden wird. Wie mußte sie oft trotz ihrer Schwäche lächeln, wenn er ihr die Kissen zurechtschob, oder mit edler Schamhaftigkeit sie, die Kranke, anfaßte, um ihr das Sitzen zu erleichtern. Wie lieblich stand seinen männlichen Zügen diese weibliche Verlegenheit, wie strenge wußte er oft seine aufglühende Empfindung zu dämpfen, wenn er sie in den Armen hielt, wie sehr ehrte sie dieses charaktervolle Entsagen.
Nach einigem Schweigen nötigte Menes das Mädchen, von dem Antilopenfleisch zu kosten, das er ihr gebracht. Myrrah lehnte ab und sagte ganz leise: »Menes, ich denke mit Schmerzen an die Stunde, in der wir uns trennen müssen, aber sie ist nahe herangekommen; länger kann ich deine, für dich so gefahrvolle Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen; dieser Tempel hat mich lange genug beschützt, bedenke, wie leicht er uns einst verraten könnte. Du selbst gestandest mir, daß du mehrmals des Nachts verdächtige Gestalten um die Anhöhe schleichen sahst; man ahnt vielleicht schon im Palast deiner Mutter, daß hier nicht alles so steht, wie es sollte – und dann bin ich jetzt kräftig genug, um wieder an meine Arbeit gehen zu können.«
Menes beruhigte ihre Angst; er versicherte ihr, seine Mutter glaube, durch seine Reden getäuscht, er gäbe sich hier, in diesem abgelegenen Tempel, fremdem Gottesdienste hin; diese seine unschuldige Heuchelei verehre jeden Eintritt und lasse sie völlig ungestört.
»Halt! Hörst du nichts?« rief plötzlich Myrrah.
»Wo?«
»Draußen vor der Türe?«
»Nein.«
»Mir war, als hörte ich den Kies knirschen.«
»Es wird der Wind gewesen sein,« beruhigte Menes.
»Menes, ich halte es hier nicht länger aus,« sagte die furchtsame Myrrah. »Morgen mit dem ersten Strahl der Sonne kehre ich heimwärts. Ich will dir nicht länger diese Last aufbürden, dich in Gefahr stürzen. Fast acht Tage schwebe ich deinetwegen in dieser Angst . . . aber höre nur! beim Himmel! das war ein menschlicher Fuß.«
»Unmöglich, Liebste!« sagte Menes lachend, »die Furcht läßt dich Geräusche vernehmen, die nicht sind. Meine Mutter ist
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