Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
haßt Isaak, wie ich ihn hasse.«
Isaak zuckte zusammen.
»Denke daran,« fuhr Myrrah mit wachsender Aufregung fort, »welchen Seelenschmerz du dem Zurückkehrenden bereitest, wenn er mich an der Seite eines anderen findet? Kannst du das deinem Sohne antun und bist ein Weib? Willst du vielleicht seine Mörderin werden? Dann handle so! Willst du, daß er zu deinem Mörder werde? Dann magst du so handeln – du herzlose, unnatürliche Mutter.«
»Ich liebe meinen Sohn,« fuhr Asso auf, als habe sie dies Wort verwundet. »Ich liebe ihn; deshalb handle ich, wie ich handle. Ich weiß wohl, es wird ihm schmerzliche Überwindung kosten, dich an der Hand eines anderen zu sehen, jedoch er wird bald die Liebe seiner Mutter als Triebfeder hinter diesem Gewaltstreich entdecken, wird einsehen, daß sie so handeln mußte, und wird ihr dankbar die Hand küssen, daß sie ihn durch eine rasche, grausame, aber heilsame Operation von der Krankheit befreit, die ihm sein Leben zu verbittern drohte. Übrigens überlasse mir die Sorge, meinen Sohn zu beruhigen, denke an dein Wohl; wolltest du der Hemmschuh sein am Wagen seines Glückes? Das Steingewicht, das ihn von der Höhe, für die er bestimmt ist, herabzieht?«
»Tut es nicht, hohe Frau,« jammerte die Arme, die Hände flehend zu der Gebieterin emporhebend.
»Tut es nicht. Ich entsage Eurem Sohn; nie mehr will ich ihn sehen; gebt mir Erlaubnis, Memphis zu verlassen. Barfuß will ich mich von Stadt zu Stadt betteln, durch die Wüste bis nach Syrien; Euer Sohn soll nie mehr von mir erfahren, tot will ich sein für ihn; nur in Gedanken soll er mein sein – doch erlaßt mir das Schreckliche: dieses Mannes Weib zu sein. Möglich, daß Ihr es gut mit mir meint – hier ist Eure Güte Grausamkeit – lieber gebt mir Gift, als solch einen Eheherrn.«
»Närrchen,« lachte die Dame, »erkenne dein Glück, komme zur Überlegung.«
»Tut es nicht,« weinte die Unglückliche, ohne auf die Worte ihrer Feindin zu hören, »tut es nicht! Mehr kann ich nicht sagen.«
»Gebt mir die Feder, ich will unterschreiben,« sagte Asso, »mein Wille ist unerschütterlich.«
»Ihr macht mich elend,« rief Myrrah, die Hände faltend, »tut es nicht – laßt mich wandern –«
»Wandern?« gab die andere zurück, »damit du auf Umwegen nach Theben gelangst?«
»Mißtraut mir nicht – ich gehe nicht nach Theben, ich bin ehrlicher wie Ihr –«
»Ich kenne solche Beteuerungen. Im Augenblick der Verzweiflung macht man sie, man schwört, streng nach seinen Grundsätzen leben zu wollen, ist aber die Not gemildert, oder kommt Gelegenheit, dann verblassen allmählich die Versicherungen. Angenommen, ich ließe dich ziehen. Vier Monate lang zögst du nach Norden, der fünfte sähe dich auf dem Weg nach Theben.«
»Hohe Frau, Ihr irrt! Tut es nicht! Habt Barmherzigkeit! Seid Weib, nicht Hyäne! Kettet mich nicht an einen, den ich nicht lieben kann, das ist grausamer, als die langsamste Todesmarter.«
»Stille! – Nur dieses Mittel gibt mir Gewißheit, daß zwischen euch beiden eine Verbindung nicht mehr möglich ist; nur durch deine Ehe zwinge ich Menes, von dir zu lassen, dich als tot zu betrachten, nicht durch deine Abwesenheit, deine Trennung von ihm, die bald keine mehr sein würde. Ich darf von meinem Entschluß nicht abgehen, so sehr ich fühle, daß er hart genannt werden kann. Gib mir die Feder, Isaak, ich will das Dokument unterschreiben. Ich tue es wirklich mit Widerstreben – aber – ich finde eben kein besseres Mittel, so sehr ich überlege.«
Isaak brachte die Feder in den Farbstoff, sie der Witwe zu reichen. Myrrah verfolgte die Bewegungen der Frau mit höchster Spannung! Als die Feder die Rolle berührte, vermochte sie ihre Verzweiflung nicht mehr zurückzudämmen; alle Selbstbeherrschung, alle Unterwürfigkeit vergessend, fiel sie vor der Gebieterin zu Boden, mit der Kraft des Wahnsinns ihre die Feder haltende Hand von der Rolle zurückdrängend, dabei in die Worte ausbrechend: »So stehe du mir bei, Allmächtiger des Himmels!«
»Macht mich los von der Rasenden,« keuchte Asso.
»Nimm Vernunft an, Myrrah,« stöhnte Isaak, die Hingestürzte mit geheimer Lust betrachtend.
»Schreib' nicht,« wimmerte das bejammernswerte Opfer gewalttätiger Hinterlist. »O Menes, warum weilst du fern! Eile, fliege herbei! O wenn du dies wüßtest – kann mein Schrei nicht bis zu dir dringen? Verkünden es dir deine Götter nicht, was man dir antut? Alles bleibt stille, kein Lüftchen regt sich,
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