Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
dem Elend, das man über sie zu verhängen im Begriffe stand. Wenn er jetzt schläft, muß ihm ein Traum sagen, was du leidest, wenn er froh bei Tische sitzt, muß ihm ein unerklärliches Weh, das ihn urplötzlich befällt, verkünden, was man mit dir vor hat. Es war ihr, als lief ein geheimnisvoller Faden von ihrem Herzen bis in das seine, und als könne es gar nicht anders sein, als daß er sogleich hier im Zimmer erscheinen werde. Dieser verzweiflungsvolle Wahn zerflog vor der Stimme der Gewalttätigen in sein trauriges Nichts.
»Nun! wie gefällt dir mein Plan,« frug diese wohlwollend, »bin ich nicht eine gütige Herrin? O, du solltest das Haus sehen, das nun dein Eigen sein wird, diese Zimmer, diese Tische, diese Polster!«
»Sie scheint noch ein wenig bestürzt,« sagte Isaak entschuldigend, »hohe Frau, wir müssen Geduld mit ihr haben, sie wird sich sammeln und uns dann Antwort geben; ich sehe ihr an, daß ihr dein Plan gefällt. Nicht wahr, liebes Mädchen?«
Rebekka mochte etwas wie Mitleid fühlen, als Myrrah ihr großes, verstörtes Auge zu ihr hilfsbedürftig aufschlug; sie reichte dem Mädchen, das umzusinken drohte, einen Becher voll Wasser und schob ihr einen Stuhl in die Nähe. Als Myrrah lange mit sich selbst gerungen hatte, um das unerwartet Schreckliche zu fassen, um nur wieder zur klaren Übersicht ihrer Lage zu kommen, als sie gewaltsam die sinnberückende Betäubung abgeschüttelt hatte, in der ihr Geist unterzugehen drohte, war das erste, was sich ihr in ihrer Not aufdrang, daß es jetzt darauf ankam, sich zu verteidigen. Dies Gefühl, daß, wenn sie sich nicht kräftig zu wehren verstand, ihre Zukunft endlosem Jammer preisgegeben sei, erfüllte sie allmählich mit einer Art nervös aufgeregten Mutes. Sie erhob sich zitternd von ihrem Sitz, sah stolz im Zimmer umher und warf einen Blick auf die Witwe, der diese erröten machte. Sie wollte das Äußerste wagen, selbst, wenn es ihren Untergang zur Folge hatte.
»Gebieterin,« stieß sie mit atemloser Hast hervor, »weiß dein Sohn von dieser deiner Absicht?«
»Das sollte dich nicht kümmern,« entgegnete jene möglichst gleichmütig.
»Verzeiht, es muß mich kümmern,« versetzte Myrrah mit fester Stimme, »ihm habe ich mich angelobt; er hat ein Recht auf mich; ohne seine Erlaubnis dürfen weder ich noch du einen solchen Schritt wagen. Er allein hat darüber zu entscheiden, ob ich das Weib Isaaks werden soll.«
»Ich habe darüber zu entscheiden, Dirne,« sagte Asso streng, »nicht er und nicht du. Ich versichere dir, Mädchen, mein Sohn wird niemals dein Gatte, solange ich Odem habe, wird er es nicht. Darauf darfst du schwören. Und damit eine Verbindung mit ihm für alle Zeiten unmöglich wird – deshalb sollst und wirst du Isaak zum Gatten nehmen. Ich will es! Sei vernünftig, zwinge mich nicht zu Gewaltmaßregeln; ergreife die Hand deines Glaubensgenossen, die er dir freundlich bietet. Glücklich preisen würden sich Tausende in deinem Fall. Du steigst von der armen Dienerin bis zur reichen Frau – was willst du mehr?«
»So willst du deinen Sohn hintergehen! betrügen!« rief nun Myrrah mit so lauter Stimme, daß die Rohrfeder aus der Hand Isaaks zu Boden fiel. »Willst mich zwingen, ihm untreu zu werden? Hüte dich! Wenn du mich nicht fürchtest, nicht vor meinen Vorwürfen bebst, so fürchte deine Götter, die ihr gerecht nennt, und die dein Unrecht mit Unwillen ansehen. Hüte dich vor der Stunde, da dein Herz auf der Wage liegt vor dem richtenden, gleich abwägenden Osiris, dem Richter im Lande der Toten; siehst du das Zünglein der Wage schwanken? Siehst du, wie die 42 Totenrichter dich mit scharfen Blicken durchbohren? Das heilige Tier des Toth, der Gott mit dem schauerlichen Hundekopf, berührt die Zunge der Wage; dein Herz steigt und steigt, es wird zu leicht befunden; und wenn du beteuern sollst, du habest zweiundvierzig Sünden nicht begangen – glaubst du, deine Richter ahnten deine Lüge nicht? Weißt du nicht, wie genau sie dort unten Buch führen über die Taten der Menschen?«
Asso suchte die Schauer abzuschütteln, die ihr die Beschreibung des Totengerichts eingeflößt.
»Die Totenrichter,« sagte sie wegwerfend, »rechnen diese Handlung zu meinen guten, nicht zu meinen schlimmen Werken.«
»Bedenke, was du tust,« rief Myrrah mit so dringendem Ton, als hinge an jedem ihrer Worte die Entscheidung über Leben und Tod. »Fürchte deines Sohnes Zorn, wenn er zurückkehrt; fürchtet beide seinen Zorn, denn er
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