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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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auch so hinlegen! Da ein Alter; er scheint – Anwaltsschreiber gewesen zu sein. Jetzt schreibt er keine Protokolle mehr ab. Dort ein Jüngling; auch ein Bruder Studio, der jetzt den Würmern einen Salamander reibt. Da eine brave Hausfrau; im Jenseits kann sie wohl die Erfahrungen der Küche und des Putzlumpens nicht mehr verwerten? Dort eine Jungfrau; hoffentlich kann sie die aufgespeicherten Zinsen ihrer Jugend jetzt ruhig genießen. – Wie lieblich der Anblick der Kinder! die haben mal den Kopf zur Türe in die Kinderstube des Lebens hereingesteckt und sich schlauer Weise gleich wieder davongemacht; das Spielzeug war ihnen nicht nett genug.«
    Emiliens Todesfurcht war in der Tat geschwunden. Der friedliche Anblick dieser im tiefsten Schlummer versunkenen Gesichter wirkte geradezu ansteckend auf ihr Gemüt.
    »Unwillkürlich«, fuhr Karl fort, »suchen wir hinter diesen starren Masken der Toten noch das Leben. Wir glauben, wir müßten aus diesen gebrochenen Augen das große Rätsel enträtselt leuchten sehen und wie wenig doch bieten sie uns! Auch das Seziermesser des Arztes sucht vergebens hier nach den Quellen des Daseins; die fließen im Übersinnlichen . . .«
    »Wie wird der letzte Augenblick sein?« murmelte sie.
    »O vielleicht gar nicht so übel!« belehrte er sie. »Der Lebenstraum wird sich da wohl phantastischer weiterspinnen, wir sehen uns vielleicht in einen prachtvollen Zaubergarten versetzt . . . überall Pfauen, schillernde, farbenbrennende Pfauen . . . denken Sie, wie herrlich! hinter glühenden Rosen auch noch edelsteinfunkelnde Pfauen? Dann tuts einen Ruck! sehen Sie, so einen inneren Knacks, – Nacht ists!«
    Beide verließen die Leichenhalle und wandelten träumerisch stumm die lange graue Kirchhofmauer hinab. Es dunkelte schon. Die weite Wiesenfläche, über die der scharfe Wind klagend strich, verlor sich im unheimlich Ungewissen; nur am fernen Horizont dämmerte noch ein rötlich-grauer Streifen, von dessen mattem Silberglanz ferne Baumwipfel, Fabrikschornsteine und Häuserdächer sich finster abhoben. Von der Landstraße ächzten schläfrig die Achsen mehrerer Lastfuhrwerke herüber.
    An der Ecke der Mauer blieb Karl stehen. Er hatte schon seit zehn Minuten eine Gestalt beobachtet, die quer über die Wiese eilte.
    »Sehen Sie dort!< sagte er leise . . . »Wer kommt da?«
    Nun richtete auch Emilie ihre Augen auf die schwarze näher kommende Gestalt; es war ein Weib. Sie lief mehr als sie ging. Beide standen einige Zeit beobachtend, denn sie hatten den Eindruck, als ob die Person auf sie zu eilen, sie suchen, ihnen Zeichen geben wollte.
    Nun murmelte Karl: »Natalie!« Emilie schrak zusammen, . . . Ja, es war ihr Kind! Sie erkannte sie jetzt am Gang, an einer Geberde der winkenden Hand; die Gesichtszüge konnte sie noch nicht enträtseln.
    Beide blieben unwillkürlich stehen. Sie hätten ja auch fliehen, ihr düstres Vorhaben rasch ausführen können. Aber sie schämten sich diesem blühenden, näherkommenden Leben gegenüber; es kam ihnen wie ein schweres Unrecht vor, im Angesicht dieser vertrauungsvoll Anmutigen etwas Häßliches zu tun. Sie warteten, bis das Mädchen immer näher herangeeilt war. Jetzt konnte man schon ihre hastigen Atemzüge hören, jetzt dämmerten die zarten Formen ihres mütterlich-kindlichen Gesichtchens aus dem Grau-Grün der Dämmerung auf.
    »Mama, Mama!« rief sie.
    Bald darauf stand das Mädchen nach Atem ringend vor den Beiden und suchte mit so verzweiflungsvollen Blicken in ihren Zügen zu lesen, daß sowohl er als sie, von einer Art Schamgefühl ergriffen, nicht wußten, was sie tun oder sagen sollten.
    »Aber Mama!« stammelte das Kind, dem die Tränen in die Augen drangen, »so spät? Wohin gehst du denn? Ich bin dir von Ferne nachgegangen, ich habe so Angst gehabt . . . um deinetwillen . . . Dann hab ich dich aus den Augen verloren . . . und . . . hier in dieser Einsamkeit? was tust du denn hier?«
    Sie streifte mit einem vorwurfsvollen Blick aus ihren schwarzen Augen erst Karl, dann die Mutter. Emilie empfand, daß ihr Kind sie völlig durchschaut und alles erraten hatte. Dies Bewußtsein brachte einen gewaltsamen Umschwung in ihr hervor. Sie schloß des Kind heftig in die Arme, drückte es an die Brust und schluchzte laut auf: »Fort, fort von hier!«
    »Mama? Mama?« fragte das Mädchen mit rührendem Vorwurf in der Stimme.
    »Ach, du ahnsts ja nicht,« fuhr die Mutter fort, »ich kann dir nicht alles sagen, was mich so weit

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