Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
trieb ihn mächtig zum Vater, – einerlei wie der ihn empfangen würde; und doch fing auch sein Stolz an zu leiden, sich zu bäumen. Er zitterte am ganzen Leib, sein Gesicht war sehr bleich und zuckte krampfig, als er nun in die Wohnung eintrat und auf die Tür des Vaters zuging. Der gekrümmte Finger bebte ihm: er konnte die Tür nicht berühren, sie schien ihm glühend zu sein und hinter ihr lauerte die Hölle. Die Ohren rauschten ihm wie im leichten Fieber, eine peinliche Traumseligkeit, die ihm allerlei verworrene Bilder schuf, umflorte sein Bewußtsein; Bilder längst entschwundener Jugendtage, die sich aber garnicht recht auffassen ließen, so zart, silberglänzend, nebelbleich, flossen ihre trunkenen Farben ineinander.
Horch! jetzt hüstelte es hinter der Tür, die so teilnahmlos hart, kalt, ihn anstarrte. Er dachte, die Tür müsse sich in Nebel verwandeln und dann in Nichts zerfließen, um ihn einzulassen. Sie blieb aber eigensinnig hartes undurchdringliches Holz. Wie eckelhaft ihm der weiße Ölfarbenanstrich vorkam!
Wieder raschelte es hinter der weißen harten Wand. In diesem rauschartigen Traumzustand öffnete er, ohne zu klopfen, erschrak über das Öffnen, und wollte die Tür wieder schließen. Da rief es: Herein!.
Er öffnete zaghaft, wäre aber am liebsten gleich wieder umgekehrt, denn sobald sein Vater ihn erblickte, sank er mit entsetzter Geberde, als wollte er fliehen, in die Kissen des Sessels zurück.
Karl ließ seinen schwarzen Hut fallen vor Grausen. Er stand gebückt mit einer demütig schmerzvollen Miene da, während der alte Körn ihn mit krassen Augen anstarrte.
»Was will man von mir?!« tönte es dem Sohne kalt, angstvoll entgegen.
Und seltsam! in seine Zerknirschung und in das Mitleid, das ihn jetzt angesichts des Leidenden beschlich, mischte sich dem Sohn ein Gefühl von Stolz, als er im Blick seines Opfers neben der Angst einen Zug von Achtung entdeckte, von jener Achtung, die wir – immerhin noch sehr atavistisch fühlenden Menschen vor körperlicher Überlegenheit, vor rascher Gewalttat, empfinden. Es erfüllte den Jugendstarken mit einer traurigen Art von Triumph, daß hier ein Mensch vor seiner Faust gezittert hatte. So konnte er, als der Vater nocheinmal angst- und respektvoll seine Frage wiederholte, nicht mit der soeben noch tiefgefühlten Reue erwidern; der Klang seiner Stimme verriet einen gewissen Trotz als er nun hervorstieß:
»Nichts; Abschied nehmen . . .«
Erst als der Vater verwirrt vor sich hinmurmelte: »So? Abschied nehmen? Wohin?« – verflog dies Gefühl von Triumph sehr rasch und machte wieder qualvollen Empfindungen Platz.
»Ich wollte dir eigentlich meinen Anblick ersparen . . .«
Der Direktor nickte finster. »Dabei hätte man bleiben sollen!«
»Ich geh auch gleich wieder . . . Nur mein Gewissen wollt ich erleichtern.«
Um des Vaters finstre Lippen kräuselte es sich wie leiser verächtlicher Hohn, als er jetzt vor sich hinflüsterte: »Gewissen? Hat man doch noch so etwas in sich?« Dann blickte er lang, in düstere Träume versunken, zum Fenster hinaus, auf die puffende Dampfröhre.
Karl, der noch demütig an der Tür stand, schritt weiter ins Zimmer hinein und lispelte bewegt: »Vater!«
Da wendete der Direktor den Kopf und lehnte den Gefühlsausbruch seines Kindes mit den Worten ab: »Man glaube nicht durch solche Komödie Geld von mir erschwindeln zu können!«
Karl blieb erschrocken stehen. »Geld?« rief er, >ich brauche kein Geld. Deshalb bin ich doch nicht gekommen!«
»Man will ja fort? Man muß doch leben? Wovon?«
»Das laß meine Sorge sein!« rief Karl mit aufsteigendem Ärger. »Überhaupt . . . ich verstehe dich nicht! Ich komme her, um . . . mein Unrecht . . . zu bereuen, und du . . . redest von Geld?!«
Der Vater ließ sich nicht beirren. »Wieviel wirst du monatlich brauchen?« fragte er streng.
»Garnichts werd ich brauchen! Ich habs doch gesagt! Keinen Heller nehm ich von dir!«
Der Alte hörte das nicht ungern. »Nun gut. Dann sieh, wie du durchkommst. Ich bin selbst in keiner glänzenden Lage . . . Der abgesonderte Haushalt meiner Frau . . .«
»Dazu die Bedürfnisse der Neuen . . .« ergänzte höhnisch der Sohn.
»Man halte seinen unverschämten Mund!« donnerte der Direktor, besann sich aber sofort erschrocken, daß man diesen Menschen nicht reizen dürfe. Ärger und Angst verbarg er unter einem mürrischen Ton. »Zudem weiß ich noch nicht, . . . wenn gewisse Dinge offenkundig
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