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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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getrieben . . . Aber nun ists vorbei! Dein Anblick läßt mich ja das Schlimmste wieder ertragen. Ja, ich will dulden, – dir zu lieb! Ich will dir nie mehr so einen Schmerz antun. Wie schön von dir, daß du mir nachgeeilt bist! Du hast mich vor einem großen Unrecht bewahrt, das dank ich dir ewig. – Ja, ja, sein Schicksal soll der Mensch tragen.«
    Der Anblick der beiden weinenden Frauen, wie sie sich in Zärtlichkeiten erschöpften, löste auch in Karls Brust den starren Krampf der Selbstsucht! Ja, rief er sich zu, Selbstsucht wars, die dich aus der Welt trieb, denn dadurch, daß du deinem Gewissen entfliehen willst, machst du dein Unrecht, deine vielen bisher begangenen Fehler nicht gut. Nicht feige davonschleichen sollst du, sondern nun erst recht kämpfen! Alle deine Fähigkeiten mußt du ins Spiel setzen, um vor dir selbst wieder gerechtfertigt dazustehen!«
    Besonders der Anblick dieses reizenden, unschuldigen Mädchens wars, was ihm wieder die Lust ins Herz flößte, dem Leben von neuem die Stirne zu bieten. Wer weiß! vielleicht wird doch noch was aus dir? vielleicht erringst du doch noch die Siegespalme! Mit Erstaunen fühlte er, wie merkwürdig ein edles Menschenantlitz auf den Menschen wirken kann. Schönheit ist doch das höchste Geheimnis, dachte er; in der Schönheit wirken metaphysische Kräfte. Vielleicht begeistert sie uns deshalb so tief, weil wir ahnen, daß wir so vor unsrer Geburt waren, so nach dem Tod wieder werden? Sie ist ein Wink aus dem Jenseits, ein Abglanz aus einer höheren Welt; sie streift das Irdische von unsern Blicken und deutet auf eine Welt des Übersinnlichen.
    Als nun Natalie die Arme von der Mutter löste und mit weit aufgerissenen Augen auf ihn zu schritt, konnte er sich nicht länger beherrschen. Ihr fragender Blick las zu tief in seiner Seele, seine Augen brannten von Tränen und er flüsterte: »Sie haben uns Beiden das Leben wieder gegeben!«
    Sie zuckte zusammen. »Also doch?« murmelte sie; »auch Ihnen?!«
    »Ja. Wir standen dicht am Grab; aber Ihre Erscheinung hat mich belehrt. Ich sehe jetzt ein, daß die Theosophen recht haben, wenn sie den Selbstmord in mißlichen Lebenslagen als Torheit verwerfen. Das erlöst nicht, das verstrickt nur tiefer in Schuld.«
    »Von der Mama ahnte ich schon lange, daß sie mit so schrecklichen Gedanken umgeht,« lispelte sie traurig. »Aber Sie? wie kommen Sie auf einen so gräßlichen Gedanken?«
    »Davon . . . vielleicht ein andermal!« erwiderte er düster. »Wollen wir gehen? nach Haus zurück?«
    Schweigsam wandelten die drei Menschen neben einander her, über die dunkle Ebene, auf die nun dichter, immer dichter, ein geheimnisvoller weicher Schneeschleier nieder sank. Der Sturm hatte sich gelegt. Fern herüber brauste der Straßenlärm der großen Stadt, deren Tausende von Lichtern den Horizont mit einer silberbleichen Glorie umsäumten«
    Als die drei sich auf der Treppe des ersten Stockwerks trennten, blickte Natalie dem jungen Mann ernst in die Augen. »Haben Sie denn Ihre Lebensaufgabe ganz vergessen?« sagte sie leise.
    Er lächelte wehmütig. »Sie haben recht! Lassen Sie mir nur Zeit. Durch Nacht zum Licht. Nur wer die Tiefen kennen gelernt, darf auf den Höhen wandeln.«
    Sie reichte ihm die kleine, kindliche Hand. Dann folgte sie ihrer voraneilenden Mutter treppaufwärts nach.
    Karl stand noch eine Zeit lang in tiefen Gedanken. Er fühlte, daß eine große Veränderung in ihm vorgegangen war: eine alte Liebe war in ihm erloschen, und eine neue, edlere, tiefere, hob leise erwachend ihr Haupt. Mit Bewunderung sah er in Natalie das was ihm selbst nur allzusehr fehlte: sie hatte die Mutter gerettet, er beinahe den Vater ins Verderben gestürzt. Der Blick auf diese Gestalt verlieh ihm den Wunsch und die Kraft sich zu demütigen, vom Vater Verzeihung zu erflehen; nichts als Verzeihung! und dann hinzugehen, um zu arbeiten. Ohne die Beihilfe des Vaters, auf den er alles Recht verloren, und ohne die Mutter in Anspruch zu nehmen, von der er ohnehin nichts erwarten konnte, – ohne die Hilfe irgend eines Menschen wollte er allein sich seinen Platz in der Welt erobern. Das soll deine Strafe sein! rief es in ihm; so büße deine Schuld! das ist die einzig richtige Sühne; sie allein hat Wert und löscht alles Schwarze aus deinem Schuldbuch aus.
    Zuerst aber Demütigung und Abbitte vor dem schwer Beleidigten. Sollte ers tun? gleich jetzt? Er kämpfte heftig mit sich selbst: ein tiefes Bedürfnis nach Verzeihung, nach Frieden,

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