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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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er in sein Schlafzimmerchen und entnahm der Schublade des Nachtkästchens seinen alten Revolver. Draußen vorm Fenster pustete die Dampfröhre der Druckerei . . . es kam ihm vor, als sei das ein Riesenrevolver, der einen großen Rauchbüschel ausstieß.
    »Vorm Tod noch machst du poetische Vergleiche!« sagte er zu sich. »Was wird dein Gehirn träumen, wenn die Kugel es zerreißt? O! diese letzten Halluzinationen?!« Er mußte lächeln . . . vielleicht träumte er von einer reichbesetzten Tafel? oder von schönen Mädchen, die ihm goldene Becher reichten? Ja, er hätte so gern noch zum Ende die glühendsten Freuden des Lebens ans Herz gedrückt! So jung sterben . . . ohne Etwas geleistet zu haben!
    Ob wohl sein Vater ihm selbst den Revolver in die Hand drücken würde?
    Jetzt brach die Sonne ein wenig durch den Novemberhimmel. Hinaus, hinaus! In der freien Natur stirbt sichs leichter als hier im engen Zimmer. Man soll deine Leiche nicht finden!
    Mit solcher Hölle im Busen verließ er gegen Mittag ohne Mantel das Haus.
    Gerade als er dann im Vorplatz angekommen war, bemerkte er Frau Rechtsanwalt Meyer. Sie war elegant zum Ausgehen gekleidet. Offenbar mit sich selbst kämpfend, stand sie unschlüssig an der Haustüre. Ihr Gesicht hatte einen gequälten Zug, wie bei einem Schlafenden, der von bösen Träumen gepeinigt wird. Manchmal murmelte sie erregt Unverständliches vor sich hin. Karl dachte: sie wird wieder eine Auseinandersetzung mit ihrem Willy gehabt haben, vielleicht will sie jetzt ihre Drohung ausführen? ihm davonlaufen?
    Er grüßte. Sie bemerkte es gar nicht. Sie sah ihn ganz befremdet an und murmelte etwas vor sich hin wie in einem nachtwandlerischen Zustand. Jetzt schoß sie plötzlich, als verfolge man sie, zur Türe hinaus. Er folgte ihr und war nun doch, als er ins Freie trat, ärgerlich darüber, daß er keinen Mantel angezogen hatte. Er sah aus wie ein besserer Handwerksbursche in seinen etwas zu eng gewordenen Kleidern.
    Vom grauen Himmel herab fing es leise zu schneien an; vereinzelte, verlorene Flöckchen wehten herab, als hätten sie Angst die Erde zu berühren; ein scharfer Wind fegte durch die Straßen, so daß alle Schirme schief gehalten werden mußten und oftmals Hüte über die Schienen der Trambahn rollten.
    Mit dem Ahnungsvermögen des Unglücks sagte er sich: Diese Frau, die in sich versunken da vor dir herwandelt, hegt denselben Vernichtungsdrang in sich, wie du! . . . ihr geht auf derselben Bahn! Er wußte ja auch, daß sie schon seit einiger Zeit schwer unter dem Mistrauen ihres Gatten litt. Sie hatte ihm erst vor drei Tagen, als eine tiefe Schwermut sie ergriffen, gesagt, sie halte dies Leben nimmer aus. Dazu kam noch, daß auch Karl sie für schuldig hielt, da er dem Charakter des Kommerzienrats keine Großmut zutraute. Am Ende geht sie zum Kommerzienrat? dachte er; sie hat sich elegant herausgeputzt, das tut man doch nicht, wenn man ins bessere Jenseits spazieren geht?
    Aber ihr Weg führte nicht auf den Weg des reichen Musiknarren, sie eilte auf die Landstraße, die nach Mosach führte; dort ergoß sich ein Nebenfluß der Isar durch die öden Fluren. Jetzt flog ihm der schwarze Filzhut vom Kopf, Karl lief ihm nach . . . dadurch kam er ganz in die Nähe der hübschen Frau. Als sie die letzten Häuser der Stadt erreicht, holte er sie ein. Er ging neben ihr her, sie befand sich jedoch in einem so merkwürdigen Zustand stumpfer Teilnahmlosigkeit, daß sie ihn gar nicht beachtete. Es war, als sei sie ganz allein auf der Welt; mit so inniger Heftigkeit strebte sie nach ihrem letzten Ziel, daß sie gar keine Zeit fand, irgend Etwas zu beachten. Beide sprachen kein Wort, Beide fühlten, auch ohne weiter Notiz von einander zu nehmen, daß sie zusammen gehörten. Endlich brach er das Schweigen.
    »Wie sonderbar das anmutet! hier dieser Wirtsgarten. Statt froher Biertrinker lacht der schneidende Nordwind über die vor Nässe schwarzen Tische und Bänke. Dort steht über der Tür des Bretterverschlags: »Herrenbad«; da: »Damenbad«. Hu! das schwarze Wasser da unten . . . wie das wirbelt! Wollten Sie jetzt ein Bad nehmen?« Er lachte bitter.
    Diese Anrede brachte die Frau zu sich. Sie blieb stehen und starrte in die dunkle Flut, die unheimlich unter der Brücke hinrauschte, um hinter den Planken der Badeanstalt brausend zu verschwinden.
    »Was will ich denn? was will ich denn?« murmelte sie verstört, ihren grauen Mantel fester um die Hüften drückend.
    »Ja,

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